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Parkett

Von

Das Stück hat Weltanschauung. Neben mir Ottilchen
hat weit die grauen Augen aufgemacht:
Der, nach dem Spiel, erhofft ein Kartenspielchen,
der eine Nacht …

Der Diener meldet die Kommerzienräte,
die Gnädige empfängt, ein Sektglas klirrt.
Ich streichle ihre Hand, die sonst die Hüte nähte …
Ob das was wird?

Da oben gibt es Liebe und Entsetzen,
doch so gemäßigt, wie sichs eben schickt.
»Ottilie«, flüstre ich, »vermagst du mich zu schätzen?!«
Sieh da: sie nickt.

Nun läßt mich alles kalt: die ganze Tragik
ist jetzt für mich verhältnismäßig gleich.
Und nimmt Madameken ihr Gift, dann sag ick:
»Ich bin so reich … «

Was kümmern mich die blöden Bühnenränke!
Nu sieh mal, wie sie um die Leiche stehn! Genug –
… »Ottilie«, spreche ich, »ich denke – wir wollen gehn … «

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Gedicht: Parkett von Kurt Tucholsky

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Parkett“ von Kurt Tucholsky ist eine bissige Satire auf das gehobene Bürgertum und seine dekadenten Verhaltensweisen, die im Kontext einer Theateraufführung dargestellt werden. Der Sprecher, der sich im Parkett befindet, beobachtet das Geschehen auf und abseits der Bühne mit einer distanzierten, zynischen Haltung. Er vergleicht die Emotionen und Dramen des Bühnenstücks mit der eigenen, scheinbar bedeutungslosen Existenz und findet darin keine wirkliche Ergriffenheit oder Teilhabe. Stattdessen konzentriert er sich auf die Äußerlichkeiten und die sozialen Rituale, die das Leben in dieser Gesellschaftsschicht bestimmen.

Die Figur Ottilie dient als Mittel, um die Leere und Oberflächlichkeit des Sprechers zu verdeutlichen. Ottilchens Reaktionen, wie das „weit aufgemacht“ der Augen oder das Nicken, werden auf ihre emotionale Bedeutung hin reduziert und als Instrumente der Langeweile und des Zeitvertreibs dargestellt. Die Frage nach Ottilchens Wertschätzung ist nicht Ausdruck echter Zuneigung, sondern vielmehr ein Spiel mit Konventionen und ein Beweis für die eigene Arroganz des Sprechers. Die Interaktion mit Ottilie wird zur Demonstration der eigenen Macht und Gleichgültigkeit.

Die zweite Hälfte des Gedichts ist von einer zunehmenden Abgeklärtheit und Kälte geprägt. Der Sprecher distanziert sich von der Tragik des Bühnenstücks, indem er sie als „verhältnismäßig gleich“ einstuft. Er fühlt sich überlegen und betrachtet die Ereignisse von oben herab. Der Reichtum, den er am Ende betont, wird als Ersatz für tiefe Emotionen oder Sinnhaftigkeit präsentiert. Er dient als Schutzwall gegen jegliche Form von Betroffenheit und unterstreicht die moralische Verkommenheit der Figuren, die im Parkett sitzen.

Tucholskys Meisterschaft liegt in der präzisen Beobachtung und der ironischen Sprache, die die Widersprüche und die Leere der Welt, die er beschreibt, offenlegt. Die Reime und der lockere Rhythmus erzeugen einen Kontrast zur Tragik des Bühnengeschehens und unterstreichen die Haltung der Distanz und des Zynismus. Das Gedicht ist eine scharfe Kritik an einer Gesellschaft, in der Schein wichtiger ist als Sein und in der Gefühle durch finanzielle Möglichkeiten ersetzt werden. Das Finale, mit dem Vorschlag, das Theater zu verlassen, symbolisiert die Flucht des Sprechers vor der Sinnlosigkeit, die er in der Welt der Theaterbesucher und ihrer Protagonisten beobachtet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.