Der Lehrer
Meist war er klein und kroch am Boden hin
Wie eine Küchenschabe braun und eklig.
Er stak in abgeschabten Loden drin
Und stank nach Fusel und nach Schweiß unsäglich.
Doch manchmal wuchs er riesig in das Licht,
Wuchs übern Kirchturm, schattete die Erde.
Am Himmel brannte groß sein Angesicht,
Damit die Schöpfung seines Glanzes werde.
Er schlug das Aug auf wie das Testament (mich graust,
Wenn ich dran denk), pfiff wie im Rohr die Dommeln,
Ließ donnern, blitzte, hob die Sonnenfaust
Und ließ sie furchtbar auf uns niedertrommeln.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Lehrer“ von Klabund bietet eine vielschichtige Betrachtung der Macht und der Ambivalenz eines Lehrers, der hier metaphorisch dargestellt wird. Das Gedicht beginnt mit einer ernüchternden Beschreibung des Lehrers im Alltag, der als unscheinbar und fast widerwärtig beschrieben wird. Die Metaphern „klein und kroch am Boden hin“ und „wie eine Küchenschabe braun und eklig“ unterstreichen diese banale, fast verachtenswerte Erscheinung. Seine Kleidung, „abgeschabte Loden“, und sein Geruch, „Fusel und Schweiß“, verstärken das Bild des Unscheinbaren und geben dem Leser einen ersten Eindruck von dem, was in der Person des Lehrers verborgen liegt.
Der zweite Teil des Gedichts kontrastiert diese beschämende Alltagswirklichkeit mit einer überraschenden, fast übermenschlichen Verwandlung. Der Lehrer „wuchs riesig in das Licht“, „übern Kirchturm“, und seine Präsenz „schattete die Erde“. Das „Angesicht“ des Lehrers „brannte groß“ am Himmel, um „die Schöpfung seines Glanzes“ zu erfüllen. Diese Bilder rufen eine gewaltige, göttliche oder zumindest übermenschliche Figur hervor, die eine unglaubliche Macht ausstrahlt. Das Aug des Lehrers wird „wie das Testament“ aufgeklappt, was eine Verbindung zur Schrift und zur Autorität herstellt.
Die letzte Strophe verstärkt diese bildhafte, fast albtraumhafte Darstellung. Der Lehrer pfiff „wie im Rohr die Dommeln“, ließ „donnern, blitzte, hob die Sonnenfaust“ und „ließ sie furchtbar auf uns niedertrommeln“. Hier wird die Macht des Lehrers mit Naturgewalten gleichgesetzt, mit Donner, Blitz und der Kraft der Sonne. Der Ausdruck „mich graust, wenn ich dran denk“ im vorherigen Vers des Gedichts, deutet die furchterregende Natur dieser Macht an und weckt beim Leser eine gewisse Beklommenheit. Das Gedicht endet mit einer Konfrontation der Macht des Lehrers, die sich in den Naturkräften widerspiegelt und seine Schüler mit Angst erfüllt.
Das Gedicht kann als Allegorie auf die Komplexität von Macht und Autorität interpretiert werden. Der Lehrer verkörpert hier die dualen Aspekte dieser Macht: die Alltäglichkeit und die Unscheinbarkeit im Gegensatz zu der gewaltigen, oft angsteinflößenden Wirkung, die er ausüben kann. Es stellt die Frage, wie ein Lehrer in der Lage ist, seine Schüler durch Bildung zu formen, aber auch wie diese Macht missbraucht werden kann, wie die Metaphern des Schreckens in der letzten Strophe verdeutlichen. Klabund spielt hier also mit dem Gegensatz von Demut und Macht, wodurch ein tiefgründiges, wenn auch beängstigendes Bild der Rolle des Lehrers entsteht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.