Ägypten
Blau ist meines Himmels Bogen,
Ist von Regen nie umzogen,
Ist von Wolken nicht umspielt,
Nie vom Abendtau gekühlt.
Meine Bäche fließen träge,
Oft verschlungen auf dem Wege
Von der durstgen Steppe Sand
Bei des langen Mittags Brand.
Meine Sonn′, ein gierig Feuer,
Nie gedämpft durch Nebelschleier,
Dringt durch Mark mir und Gebein
In das tiefste Leben ein.
Schwer entschlummert sind die Kräfte,
Aufgezehrt die Lebenssäfte;
Eingelullt in Fiebertraum
Fühl′ ich noch mein Dasein kaum.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ägypten“ von Karoline von Günderrode zeichnet ein eindringliches Bild einer heißen, lebensfeindlichen Landschaft. Die Autorin verwendet einfache, klare Sprache, um die spezifischen Merkmale Ägyptens zu beschreiben und gleichzeitig eine tiefe emotionale Resonanz zu erzeugen. Die Verse malen ein Bild von extremer Hitze, Trockenheit und dem Gefühl der Erschöpfung, das diese Umgebung hervorrufen kann. Die Abwesenheit von Wolken und Regen, das träge Fließen der Bäche und die intensive Hitze der Sonne tragen zur Atmosphäre der Stagnation und der Verlangsamung des Lebens bei.
Die Verwendung von Adjektiven wie „gierig“ für die Sonne und die Beschreibung der Landschaft als „durstig“ verstärken die Intensität und das Gefühl der Bedrohung. Diese lebendigen Beschreibungen lassen das Gedicht mehr als nur eine topographische Beschreibung sein; es wird zu einer Metapher für einen Zustand des Stillstands und der Erschöpfung. Die „schwer entschlummernden Kräfte“ und die „aufgezehrten Lebenssäfte“ suggerieren ein Gefühl der Entkräftung, das sowohl physisch als auch emotional ist. Die letzten Zeilen, in denen die Sprecherin sich kaum ihres eigenen Daseins bewusst ist, verstärken diesen Eindruck von Lethargie und Desillusionierung.
Die Verwendung des personalen Pronomens „mein“ in der ersten Strophe, gefolgt von der Beschreibung der Landschaft, lässt eine persönliche Beziehung zur Umgebung erkennen. Es scheint, als ob die Sprecherin sich mit der Landschaft identifiziert oder von ihr beeinflusst wird. Das Gedicht wird somit zu einer Reflexion über die Auswirkungen der Umwelt auf das menschliche Befinden. Die Hitze und die Trockenheit scheinen das Leben zu lähmen, sowohl in der Natur als auch im Herzen der Sprecherin.
Günderodes Gedicht ist mehr als nur eine Beschreibung Ägyptens; es ist eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer extremen Umgebung auf das menschliche Leben und die menschliche Psyche. Die Atmosphäre der Stagnation, die durch die sprachlichen Bilder erzeugt wird, erzeugt ein Gefühl von Beklommenheit und lässt den Leser die Last der Hitze und Trockenheit nachempfinden. Durch diese eindrucksvolle Darstellung erreicht das Gedicht eine tiefere emotionale Ebene und regt zum Nachdenken über die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt an.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.