Wo noch kein Wandrer gegangen
Wo noch kein Wandrer gegangen,
Hoch über Jäger und Roß
Die Felsen im Abendrot hangen
Als wie ein Wolkenschloß.
Dort zwischen Zinnen und Spitzen
Von wilden Nelken umblüht
Die schönen Waldfrauen sitzen
Und singen im Winde ihr Lied.
Der Jäger schaut nach dem Schlosse;
„Die droben, das ist mein Lieb“.
Er sprengt von dem scheuenden Rosse-
Weiß keiner, wo er blieb.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Wo noch kein Wandrer gegangen“ von Joseph von Eichendorff entwirft eine romantische Traumwelt, in der das Unbekannte und Geheimnisvolle lockt. Es beginnt mit einer Beschreibung einer unberührten Landschaft, fernab menschlicher Zivilisation, die durch ihre Erhabenheit und Natürlichkeit besticht. Die „Felsen im Abendrot“ bilden ein „Wolkenschloß“, ein Bild, das eine Verbindung von irdischer Schönheit und himmlischer Verklärung suggeriert. Diese Einleitung setzt den Ton für eine Reise in eine mythische Sphäre, in der die Fantasie des Wanderers beflügelt wird.
Im zweiten Teil des Gedichts werden die Bewohner dieser unwirklichen Welt vorgestellt: „schöne Waldfrauen“, die zwischen den „Zinnen und Spitzen“ der Felsen sitzen und im Wind singen. Diese Frauen verkörpern eine verführerische, unerreichbare Schönheit, die den Jäger anzieht. Ihre Anwesenheit verleiht der Landschaft eine zusätzliche Dimension von Geheimnis und Sehnsucht. Die „wilden Nelken“ unterstreichen die Ungezähmtheit und Natürlichkeit dieser Welt, die für den Jäger zu einem Ort der Sehnsucht und gleichzeitig der Gefahr wird.
Die Reaktion des Jägers ist von entscheidender Bedeutung für die Interpretation des Gedichts. Er identifiziert die Frauen als seine „Lieb“ und reitet davon. Sein Handeln symbolisiert den Wunsch nach Erfüllung und das Streben nach dem Unerreichbaren. Der letzte Vers, „Weiß keiner, wo er blieb“, deutet auf ein mysteriöses Verschwinden hin. Dies lässt Interpretationsspielraum offen: Ist der Jäger der Verlockung der Waldfrauen erlegen, hat er sich in der Fantasie verloren oder ist er auf der Suche nach seiner Liebe in ein anderes Reich gelangt?
Eichendorff verwendet in diesem Gedicht typisch romantische Elemente wie Naturromantik, Sehnsucht und das Geheimnisvolle. Die Sprache ist bildhaft und sinnlich, die Reime und der Rhythmus erzeugen eine melodische Atmosphäre, die den Leser in die Welt des Gedichts eintauchen lässt. Die Thematik der unerreichbaren Liebe und des Verlangens nach dem Unbekannten spiegelt die romantische Vorstellung von der Suche nach dem Ideal und der Auflösung in der Natur wider. Das Gedicht appelliert an die menschliche Sehnsucht nach dem Unbekannten und die Suche nach dem Glück, die oft mit einem Verlust verbunden sein kann.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.