′s war doch wie ein leises Singen
In dem Garten heute nacht,
Wie wenn laue Lüfte gingen:
„Süße Glöcklein, nun erwacht,
Denn die warme Zeit wir bringen,
Eh′s noch jemand hat gedacht.“ –
′s war kein Singen, ′s war ein Küssen,
Rührt′ die stillen Glöcklein sacht,
Daß sie alle tönen müssen
Von der künftgen bunten Pracht.
Ach, sie konntens nicht erwarten,
Aber weiß vom letzten Schnee
War noch immer Feld und Garten,
Und sie sanken um vor Weh.
So schon manche Dichter streckten
Sangesmüde sich hinab,
Und der Frühling, den sie weckten,
Rauschet über ihrem Grab.
Schneeglöckchen
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Schneeglöckchen“ von Joseph von Eichendorff ist eine melancholische Betrachtung über die Vergänglichkeit und die Tragik des frühen Aufbruchs. Das Gedicht zeichnet ein idyllisches Bild des Erwachens der Natur im Frühling, kontrastiert dies jedoch mit dem schmerzhaften Scheitern der Schneeglöckchen, die der Sehnsucht nach der wärmenden Sonne zum Opfer fallen. Die Verse sind von einer sanften Melancholie geprägt, die die Schönheit des Frühlingstraums mit der Unausweichlichkeit des Todes verbindet.
Im ersten Teil des Gedichts wird eine zauberhafte Atmosphäre geschaffen. Die „laue Lüfte“ singen und küssen die Schneeglöckchen, um sie aus dem Schlaf zu wecken. Die Worte „Süße Glöcklein, nun erwacht, / Denn die warme Zeit wir bringen“ suggerieren eine Verheißung des Lebens, des Wachstums und der bunten Pracht, die der Frühling mit sich bringt. Dieser Teil des Gedichts ist von Leichtigkeit und Hoffnung geprägt, ein Gefühl, das durch die sanften Reime und die bildhafte Sprache verstärkt wird. Die Anrede „Süße Glöcklein“ wirkt zärtlich und lässt eine tiefe Verbundenheit des Dichters mit der Natur erahnen.
Die zweite Hälfte des Gedichts schlägt einen düsteren Ton an. Die Schneeglöckchen, von der Ungeduld getrieben und von der Sehnsucht nach dem Frühling verzehrt, „sanken um vor Weh“. Diese Zeilen verdeutlichen die Tragik des frühen Aufbruchs, die Unfähigkeit, auf die richtige Zeit zu warten. Die Verbindung zu Dichtern, die „sangesmüde sich hinab“ streckten, verstärkt die melancholische Stimmung. Die Metapher des Frühlings, der über dem Grab der Dichter rauscht, unterstreicht die Vergänglichkeit des Lebens und die Tatsache, dass selbst die größten Hoffnungen und Träume dem Lauf der Natur unterworfen sind.
Eichendorff verknüpft in diesem Gedicht auf meisterhafte Weise die Schönheit und die Vergänglichkeit des Lebens. Die Schneeglöckchen stehen symbolisch für die Jugend, die Dichter und alle, die zu früh nach Erfüllung streben. Das Gedicht ist eine Mahnung an die Geduld und die Akzeptanz des Kreislaufs der Natur. Es erinnert uns daran, dass das Leben, wie der Frühling, sowohl Schönheit als auch Trauer birgt, und dass das Scheitern ein fester Bestandteil dieses Kreislaufs ist. Die klare Bildsprache und die tiefgründige Thematik machen dieses Gedicht zu einem berührenden und zeitlosen Kunstwerk.
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Lizenz und Verwendung
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