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Wiederfinden

Von

Ist es möglich! Stern der Sterne,
Drück ich wieder dich ans Herz!
Ach, was ist die Nacht der Ferne
Für ein Abgrund, für ein Schmerz!
Ja, du bist es! meiner Freuden
Süßer, lieber Widerpart;
Eingedenk vergangner Leiden,
Schaudr′ ich vor der Gegenwart.

Als die Welt im tiefsten Grunde
Lag an Gottes ew′ger Brust,
Ordnet′ er die erste Stunde
Mit erhabner Schöpfungslust,
Und er sprach das Wort: „Es werde!“
Da erklang ein schmerzlich Ach!
Als das All mit Machtgebärde
In die Wirklichkeiten brach.

|Auf tat sich das Licht: so trennte
Scheu sich Finsternis von ihm,
Und sogleich die Elemente
Scheidend auseinander fliehn.
Rasch, in wilden, wüsten Träumen
Jedes nach der Weite rang,

Starr, in ungemeßnen Räumen,
Ohne Sehnsucht, ohne Klang.

Stumm war alles, still und öde,
Einsam Gott zum erstenmal!
Da erschuf er Morgenröte,
Die erbarmte sich der Qual;
Sie entwickelte dem Trüben
Ein erklingend Farbenspiel,
Und nun konnte wieder lieben,
Was erst auseinander fiel.

Und mit eiligem Bestreben
Sucht sich, was sich angehört;
Und zu ungemeßnem Leben
Ist Gefühl und Blick gekehrt.
Sei′s Ergreifen, sei es Raffen,
Wenn es nur sich faßt und hält!
Allah braucht nicht mehr zu schaffen,
Wir erschaffen seine Welt.

So, mit morgenroten Flügeln,
Riß es mich an deinen Mund,
Und die Nacht mit tausend Siegeln
Kräftigt sternenhell den Bund.
Beide sind wir auf der Erde
Musterhaft in Freud und Qual,

Und ein zweites Wort: Es werde!
Trennt uns nicht zum zweitenmal.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Wiederfinden von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wiederfinden“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine Liebeserklärung, die sich in einem metaphorischen Rahmen entfaltet und eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Themen wie Wiedervereinigung, Schöpfung und dem Wesen der Liebe bietet. Der Dichter drückt seine Freude über das Wiedersehen mit der geliebten Person aus, die er als „Stern der Sterne“ bezeichnet. Die Verwendung dieses Bildes deutet auf die hohe Wertschätzung hin, die er für diese Person empfindet, und unterstreicht die Sehnsucht, die durch die Trennung entstanden ist.

Die zweite Strophe des Gedichts greift das Schöpfungsmotiv auf. Die Beschreibung des Zustands vor der Schöpfung, als die Welt „im tiefsten Grunde / Lag an Gottes ew’ger Brust“, dient als Metapher für die Trennung. Die Erschaffung der Welt und das darauf folgende „schmerzlich Ach!“ symbolisieren die Geburt der Individualität und die damit verbundene Trennung von der ursprünglichen Einheit. Die Trennung wird als schmerzhaftes Ereignis dargestellt, wodurch die Intensität des anschließenden Wiederfindens verstärkt wird.

Die weiteren Strophen beschreiben die Trennung von Licht und Finsternis, die Auflösung der Elemente und die daraus resultierende Leere. Doch dann erscheint die Morgenröte, die die Qual lindert und die Welt wieder mit Farben und Leben erfüllt. Dieses Bild der Morgenröte, die die Dunkelheit durchbricht, repräsentiert die wiederkehrende Liebe und das Glück des Wiedersehens. Die Liebenden, die sich nun wiederfinden, werden zu Schöpfern ihrer eigenen Welt. Sie erfassen und halten einander fest, indem sie ihre Liebe zelebrieren und so eine neue Realität erschaffen, die frei von der Leere und dem Schmerz der Trennung ist.

In den abschließenden Strophen wird die Vereinigung von Liebenden mit dem „zweiten Wort: Es werde!“ des Schöpfungsaktes verglichen. Die Liebe wird als ein universelles Prinzip dargestellt, das die Trennung überwindet und eine neue Einheit schafft. Das Gedicht endet mit dem Versprechen, dass die Liebenden nicht noch einmal getrennt werden. Diese Zeile bekräftigt die tiefe Verbundenheit und das Gefühl der Vollendung, das durch das Wiederfinden des geliebten Menschen erreicht wurde. Goethes Gedicht ist somit eine Hymne auf die Macht der Liebe, die die Leere der Trennung überwindet und eine neue, erfüllte Welt entstehen lässt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.