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Frühlingsorakel

Von

Du prophet′scher Vogel du,
Blütensänger, o Coucou!
Bitten eines jungen Paares
In der schönsten Zeit des Jahres
Höre, liebster Vogel du!
Kann es hoffen, ruf ihm zu:
Dein Coucou, dein Coucou,
Immer mehr Coucou, Coucou.

Hörst du! ein verliebtes Paar
Sehnt sich herzlich zum Altar;
Und es ist bei seiner Jugend
Voller Treue, voller Tugend.
Ist die Stunde denn noch nicht voll?
Sag′, wie lange es warten sol!?
Horch′! Coucou! Horch′! Coucou!
Immer stille! Nichts hinzu!

Ist es doch nicht unsre Schuld!
Nur zwei Jahre noch Geduld!
Aber, wenn wir uns genommen,
Werden Pa-pa-papas kommen?
Wisse, daß du uns erfreust,
Wenn du viele prophezeist.
Eins! Coucou! Zwei! Coucou!
Immer weiter Coucou, Coucou, Cou.

Haben wir wohl recht gezählt,
Wenig am Halbdutzend fehlt.
Wenn wir gute Worte geben,
Sagst du wohl, wie lang wir leben?
Freilich, wir gestehen dir′s,
Gern zum längsten trieben wir′s.
Cou Coucou, Cou Coucou,
Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou.

Leben ist ein großes Fest,
Wenn sich′s nicht berechnen läßt.
Sind wir nun zusammen blieben,
Bleibt denn auch das treue Lieben?
Könnte das zu Ende gehn,
Wär doch alles nicht mehr schön.
Cou Coucou, Cou Coucou,:
Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou!

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Gedicht: Frühlingsorakel von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Frühlingsorakel“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine charmante und humorvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe, Ehe und Zukunftsperspektiven, verpackt in der Form eines Dialogs mit einem Kuckuck. Das Gedicht bedient sich eines einfachen, spielerischen Stils, um die Sorgen und Hoffnungen eines jungen Liebespaares darzustellen, das sich von der Natur und insbesondere dem Kuckuck Antworten auf seine Fragen erhofft.

Der Kuckuck dient hier als Orakel, dessen Rufe die Länge des Glücks und die Anzahl der Kinder prognostizieren sollen. Das Paar wendet sich in verschiedenen Strophen an den Vogel und stellt ihm Fragen nach der Dauer der Liebe, der Anzahl der Kinder und der allgemeinen Zukunftsaussicht. Die Wiederholung des „Coucou“ als Antwort des Vogels wird dabei zum zentralen Element des Gedichts, das sowohl die naive Erwartungshaltung des Paares als auch die Unberechenbarkeit der Zukunft verdeutlicht. Goethe nutzt die wiederholten Kuckucksrufe, um die Unwägbarkeiten und die begrenzte Möglichkeit, die Zukunft zu bestimmen, auf humorvolle Weise zu betonen.

Goethes Sprache ist dabei geprägt von einer spielerischen Leichtigkeit. Die einfachen Reime und der rhythmische Aufbau unterstreichen den spielerischen Charakter des Gedichts. Die Direktheit der Fragen und die kindliche Begeisterung über jedes „Coucou“ zeigen die Sehnsucht nach Bestätigung und Glück. Die letzte Strophe, die das „große Fest“ des Lebens beschreibt, suggeriert jedoch auch die Wichtigkeit, das Leben ohne zu große Berechnungen und Sorgen zu genießen. Die Frage nach dem bleibenden Lieben deutet auf die Angst vor dem Ende der anfänglichen Liebe hin, die in der Jugend oft als unendlich wahrgenommen wird.

Goethe greift in diesem Gedicht die menschliche Sehnsucht nach Gewissheit und die gleichzeitige Erkenntnis der Unvorhersehbarkeit des Lebens auf. Der Kuckuck, als Symbol der Natur und des Frühlings, wird zum Projektionsfläche der Hoffnungen und Ängste des Paares. Das Gedicht, das mit einem Augenzwinkern daherkommt, zeigt eine gewisse Distanzierung von den Idealen der Romantik, in denen die Liebe oft idealisiert dargestellt wurde. Es wird der Wert der Freude am gegenwärtigen Moment und der Akzeptanz der Unberechenbarkeit des Lebens hervorgehoben.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.