Der Totentanz
Der Türmer, der schaut zumitten der Nacht
Hinab auf die Gräber in Lage;
Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht,
Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.
Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:
Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann,
In weißen und schleppenden Hemden.
Das reckt nun, es will sich ergötzen sogleich,
Die Knöchel zur Runde, zum Kranze,
So arm und so jung, und so alt und so reich;
Doch hindern die Schleppen am Tanze.
Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut,
Sie schütteln sich alle: da liegen zerstreut
Die Hemdelein über den Hügeln.
Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein,
Gebärden da gibt es vertrackte;
Dann klipperts und klapperts mitunter hinein,
Als schlüg man die Hölzlein zum Takte.
Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor;
Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr:
>>Geh, hole dir einen der Laken!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Totentanz“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine düstere Ballade, die von der Begegnung eines Türmers mit den Toten auf einem Friedhof in einer Mondscheinnacht erzählt. Es verbindet Elemente des Makabren, des Grotesken und der moralischen Warnung, wobei es die Vergänglichkeit des Lebens und die Macht der Versuchung thematisiert.
Die Interpretation des Gedichts beginnt mit der Beschreibung des Friedhofs, der im Mondlicht erstrahlt. Die Toten erheben sich aus ihren Gräbern und tanzen in weißen Hemden, wobei ihre ungeschickten Bewegungen und die Hindernisse, die ihre Kleidung darstellt, eine komische Note hinzufügen. Der Türmer beobachtet das Geschehen und wird von der Versuchung angeregt, sich einen der Hemden zu beschaffen, was ihn dazu bringt, seine sichere Position zu verlassen und in die Welt der Toten einzutreten.
Die Handlung nimmt eine Wendung, als der Türmer dem Ruf folgt und versucht, sich ein Hemd zu beschaffen. Der Versuch, das Hemd zu ergreifen, führt zu einer Verfolgungsjagd, die den Türmer in Schwierigkeiten bringt. Er klettert am Turm hoch, wobei er sich immer weiter von der Sicherheit entfernt, bis er schließlich von der Macht der Toten überwältigt wird. Goethes Bildsprache, wie das „zerschellende Gerippe“ am Ende, unterstreicht die endgültige Konsequenz seiner Entscheidung.
Die moralische Implikation des Gedichts liegt in der Warnung vor der Versuchung und der Neigung des Menschen, sich von weltlichen Verlockungen leiten zu lassen. Der Türmer, der sein sicheres Refugium verlässt, um dem Begehren nachzugehen, wird zum Opfer der Dunkelheit und des Todes. Die Verwendung des Tanzes der Toten, ein wiederkehrendes Motiv in der Kunst, verstärkt die Vorstellung vom Leben als einem vergänglichen Tanz und der unvermeidlichen Rückkehr zum Staub. Die schattenhafte Gestalt, die den Türmer verführt, symbolisiert die teuflische Versuchung, die über den Türmer gebracht wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.