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Der neue Amadis

Von

Als ich noch ein Knabe war,
Sperrte man mich ein;
Und so saß ich manches Jahr
Über mir allein,
Wie im Mutterleib.

Doch du warst mein Zeitvertreib,
Goldne Phantasie,
Und ich ward ein warmer Held,
Wie der Prinz Pipi,
Und durchzog die Welt.

Baute manch kristallen Schloß
Und zerstört es auch,
Warf mein blinkendes Geschoß
Drachen durch den Bauch,
Ja, ich war ein Mann!

Ritterlich befreit ich dann
Die Prinzessin Fisch;
Sie war gar zu obligeant,
Führte mich zu Tisch,
Und ich war galant.

Und ihr Kuß war Götterbrot,
Glühend wie der Wein.
Ach! ich liebte fast mich tot!
Rings mit Sonnenschein
War sie emailliert.

Ach! wer hat sie mir entführt?
Hielt kein Zauberband
Sie zurück vom schnellen Fliehn?
Sagt, wo ist ihr Land?
Wo der Weg dahin?

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Gedicht: Der neue Amadis von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der neue Amadis“ von Johann Wolfgang von Goethe beschreibt eine Reise durch kindliche Fantasien und die Sehnsucht nach Liebe und Abenteuer. Es beginnt mit der Kindheit, einer Zeit der Isolation, dargestellt durch das „Einsperren“ und das „Alleinsein“. Diese Abgeschiedenheit wird jedoch durch die „goldne Phantasie“ aufgehoben, die dem lyrischen Ich ein Universum der Träume und Heldentaten eröffnet.

Die Kindheitsträume entfalten sich in der Welt der Ritter und Prinzessinnen, in der das Ich zum Helden wird, der Schlösser baut und Drachen besiegt. Diese Fantasiewelt ist von kindlicher Unbeschwertheit und spielerischer Gewalt geprägt. Die „Prinzessin Fisch“ symbolisiert die erste Liebeserfahrung, die das Ich als „galant“ beschreibt. Der Kuss der Prinzessin wird als „Götterbrot“ und „glühend wie der Wein“ beschrieben, was die Intensität und Euphorie der ersten Liebe verdeutlicht. Die Welt erscheint in leuchtenden Farben, „emailliert“ mit Sonnenschein.

Die zweite Hälfte des Gedichts kippt in eine Melancholie. Die Frage „Ach! wer hat sie mir entführt?“ signalisiert den Verlust der geliebten Prinzessin und das Ende der unbeschwerten Kindheit. Die Sehnsucht nach ihr ist groß, und das Ich fragt nach ihrem Verbleib und dem Weg zu ihr. Dieser Verlust kann als der Übergang vom kindlichen Idealismus zur Realität interpretiert werden, in der Glück und Liebe nicht immer von Dauer sind.

Goethe verwendet in diesem Gedicht eine einfache, bildhafte Sprache, die die kindliche Sichtweise widerspiegelt. Die Reime und der gleichmäßige Rhythmus erzeugen eine spielerische Atmosphäre, die jedoch durch die melancholische Schlusswendung gebrochen wird. Das Gedicht ist eine Hommage an die Kraft der Fantasie und gleichzeitig eine Reflexion über die Vergänglichkeit von Glück und die Suche nach Liebe und Zugehörigkeit. Es ist eine Reise von der kindlichen Vorstellungskraft in die Welt des Erwachsenen mit all ihren Fragen und Sehnsüchten.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.