Ein Taschenkrebs und ein Känguruh
Ein Taschenkrebs und ein Känguruh,
die wollten sich ehelichen.
Das Standesamt gab es nicht zu,
Weil beide einander nicht glichen.
Da riefen sie zornig: „Verflucht und verdammt
Sei dieser Bureaukratismus!“
Und hingen sich auf vor dem Standesamt
An einem Türmechanismus.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ein Taschenkrebs und ein Känguruh“ von Joachim Ringelnatz ist eine satirische Auseinandersetzung mit Bürokratie und gesellschaftlichen Konventionen, verpackt in einer absurden und humorvollen Form. Die Wahl der Tiere, ein Taschenkrebs und ein Känguruh, die sich vermählen wollen, setzt von Beginn an auf eine spielerische Distanzierung vom Realitätsbezug, wodurch die Kritik an gesellschaftlichen Regeln umso deutlicher hervortritt. Die Absurdität der Situation wird durch die scheinbar banale Ablehnung durch das Standesamt verstärkt, das sich auf die unterschiedlichen Arten beruft, um die Heirat zu verhindern.
Der Kern der Satire liegt in der Überzeichnung der Bürokratie. Die Ablehnung des Standesamts, weil die Tiere einander nicht gleichen, ist ein Paradebeispiel für die übertriebene Anwendung von Regeln und Vorschriften, die wichtiger als das eigentliche Begehren der Liebenden erscheinen. Die Empörung des Taschenkrebses und des Känguruhs, die sich in der Fluchformel „Verflucht und verdammt / Sei dieser Bureaukratismus!“ entlädt, zeigt ihre Verzweiflung über die Starrheit des Systems. Der Ausruf ist umso wirkungsvoller, da er die vermeintlich vernünftige Bürokratie als etwas Unnatürliches und Zerstörerisches darstellt, das die individuellen Bedürfnisse und Wünsche unterdrückt.
Das Gedicht endet mit einem überraschenden und makabren Höhepunkt: dem Selbstmord der beiden Tiere. Sie hängen sich „vor dem Standesamt / An einem Türmechanismus“ auf. Diese Aktion ist eine radikale Reaktion auf die Unmöglichkeit, ihre Liebe aufgrund bürokratischer Hindernisse zu verwirklichen. Sie stellt das System derart in Frage, dass die einzige Lösung, die ihnen bleibt, der Freitod ist. Dies unterstreicht die Absurdität der Situation und die zerstörerische Wirkung von übertriebener Bürokratie auf die Lebensfreude und das Glück der Einzelnen. Der „Türmechanismus“ als Ort der Tat kann als Symbol für die technische und unpersönliche Natur der Bürokratie interpretiert werden, die zum Tod führt.
Ringelnatz nutzt in diesem Gedicht eine einfache Sprache und einen klaren Reim, um seine satirische Botschaft zu vermitteln. Die Leichtigkeit der Sprache steht im Kontrast zur Tragweite der dargestellten Thematik, wodurch die Satire umso wirkungsvoller wird. Die Kürze des Gedichts, kombiniert mit der überraschenden Pointe, macht es zu einem prägnanten und einprägsamen Kommentar zur Absurdität bürokratischer Zwänge und ihrer verheerenden Auswirkungen auf das Individuum.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.