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Nachtidyll

Von

Gern von meinem Fenster schau ich
Träumend in die schönen Nächte,
Wenn Selenes Silbernadeln
Emsig stickend, leis erklingen,

Auf den breiten, blauen Vorhang
Schwarz als Silhouetten stickend
Dort das eingeschlafne Nußholz,
Dort die lichtgefüllten Häuschen.

Fühle vor der feinen Arbeit
Immer mich als wie vor Wundern
Und die flügelmüde Seele
Läßt sich still zur Ruhe nieder.

Wenn es Wahrheit, daß dem Dichter
Es vergönnt, in solchen Stunden
Auch verschwiegne Sprach zu hören
Und im Innern mitzufühlen…

Auf der roten Backsteinmauer,
(Sie behütet Blumenkinder,)
Fand ich gestern abend zweie,
Die das gleiche Rätsel lockte:

Blitzeweiß ein Katzenpärchen,
Weiß vom Schwanz bis zu der Ohrspitz,
Das miauend bald zum Dorfe,
Bald erstaunt zur Höhe blickte.

Eine ganze Zeit lang währt so
Mit Vergleich es, Köpfe schüttelnd,
Bis zuletzt im Meinungsaustausch
Eris beid′ von hinnen scheuchte.

Daß der Himmel nur ein Spiegel,
Und die kleinen Sterne droben
Rückgestrahlte Lampenflämmchen,
Wie sie viel auf Erden glühen,

Darin war man ja wohl einig.
Aber wo im ganzen Umkreis
Brannte ein so großes Feuer,
Wie es dieser Mond verlangte?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Nachtidyll von Hugo Ball

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Nachtidyll“ von Hugo Ball ist eine kontemplative Reflexion über die Schönheit und das Mysterium der Nacht, verbunden mit einer spielerischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Himmels und der Natur. Das Gedicht beginnt mit einer ruhigen, fast verträumten Beschreibung des nächtlichen Ausblicks aus dem Fenster des Dichters. Die Metaphern „Selenes Silbernadeln“ und „Schwarz als Silhouetten stickend“ erzeugen ein Bild der Nacht als einer stillen Weberin, die die Welt mit Mondlicht und Schatten gestaltet. Die friedliche Atmosphäre wird durch die Worte „flügelmüde Seele“ und „Ruhe nieder“ unterstrichen, was eine Entspannung und ein Eintauchen in die nächtliche Stille vermittelt.

In der Mitte des Gedichts kommt eine subtile Verschiebung der Perspektive hinzu. Der Dichter wünscht sich die Fähigkeit, „verschwiegne Sprach zu hören“, was auf eine Sehnsucht nach tieferem Verständnis der Welt und der Geheimnisse der Nacht hinweist. Diese Suche nach Verständnis wird durch die Beobachtung eines Katzenpaares konkretisiert, das von dem nächtlichen Geschehen fasziniert ist. Die weißen Katzen, die auf der Mauer sitzen und zwischen Dorf und Himmel hin und her blicken, symbolisieren die kindliche Neugier und das Staunen über die Welt. Sie vergleichen und überlegen, wodurch die Idee des Rätselhaften verstärkt wird.

Der Höhepunkt des Gedichts ist der Versuch der Katzen, das Rätsel des Mondes und der Sterne zu ergründen. Sie scheinen darin übereinzustimmen, dass der Himmel ein Spiegel ist, in dem sich irdische Lichtquellen widerspiegeln. Allerdings bleibt die Frage nach dem Ursprung des großen Feuers, das der Mond darstellt, unbeantwortet. Dieses offene Ende deutet darauf hin, dass das Geheimnis der Natur und der Kosmos unerschöpflich sind und dass das Verstehen der Welt letztendlich eine unaufhörliche Suche bleibt. Die „Eris“ am Ende deutet auf eine mögliche Streitigkeit, was das Rätsel noch komplexer macht.

Insgesamt ist „Nachtidyll“ ein Gedicht, das die Leser dazu einlädt, die Schönheit und die Geheimnisse der Nacht zu betrachten und gleichzeitig die Grenzen des menschlichen Verständnisses zu akzeptieren. Es ist ein Loblied auf die Neugierde, die Fantasie und die Fähigkeit, in den stillen Stunden der Nacht über die großen Fragen des Lebens nachzudenken. Ball kombiniert hier gekonnt eine sinnliche Beschreibung der Nacht mit einer philosophischen Reflexion über das Wesen der Welt und die menschliche Suche nach Erkenntnis.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.