Mein Dämon hat keine Brüder und Schwestern.
Mein Dämon ist nicht von heute und gestern.
Als Gott, der Herr, die Welten machte,
Saß mein Dämon dabei im Grase und lachte,
Schnitt sich die Zehennägel entzwei
Und sah an der ganzen Welt vorbei.
Mein Dämon
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Mein Dämon“ von Hugo Ball präsentiert eine einzigartige und rätselhafte Figur, die sich von jeglicher konventionellen Vorstellung von Dämonie abhebt. Anstatt eines Wesens, das aus der Hölle stammt oder das Böse verkörpert, wird hier ein Dämon gezeigt, der in seiner Existenz losgelöst und indifferent erscheint. Die ersten beiden Zeilen etablieren die Singularität des Dämons, indem sie seine Isolation von familiären Bindungen und temporalen Kategorien betonen. Er existiert außerhalb von Zeit und Raum, was seine besondere Natur unterstreicht.
Der zweite Teil des Gedichts wirft ein faszinierendes Licht auf die Ursprünge und die Haltung des Dämons. Die Zeilen „Als Gott, der Herr, die Welten machte, / Saß mein Dämon dabei im Grase und lachte“ implizieren, dass der Dämon bereits existierte, als die Welt erschaffen wurde. Seine Anwesenheit während des Schöpfungsakts und sein Lachen lassen auf eine beobachtende, vielleicht sogar spöttische Distanz zur göttlichen Schöpfung schließen. Der Dämon ist nicht Teil des Prozesses, sondern ein passiver Beobachter, der sich an den Geschehnissen amüsiert.
Die spezifischen Handlungen des Dämons – „Schnitt sich die Zehennägel entzwei / Und sah an der ganzen Welt vorbei“ – verstärken den Eindruck von Irrelevanz und Desinteresse. Diese banalen, fast kindischen Handlungen stehen in krassem Gegensatz zum kosmischen Ereignis der Weltschöpfung, was die Abwesenheit von jeglicher Dramatik oder Beteiligung des Dämons hervorhebt. Er ist in sich selbst gekehrt, mit sich selbst beschäftigt und nimmt die Welt nur am Rande wahr. Diese Gleichgültigkeit verleiht dem Dämon eine beunruhigende, nahezu unmenschliche Qualität.
Insgesamt präsentiert Ball’s Gedicht einen Dämon, der weder gut noch böse ist, sondern eine Gestalt von passiver Beobachtung und teilnahmslosem Humor. Er ist ein unabhängiges Wesen, das sich von allen religiösen, moralischen oder metaphysischen Kategorien befreit hat. Die Stärke des Gedichts liegt in seiner suggestiven Kürze und der rätselhaften Natur der dargestellten Figur, die den Leser dazu anregt, über die Natur des Dämons, seine Beziehung zur Welt und die Frage nach der eigenen Existenz nachzudenken.
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Lizenz und Verwendung
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