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Der Literat

Von

Ich bin der große Gaukler Vauvert.
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und Ohr.

Ich bin aus dem Abgrund der falsche Prophet,
Der hinter den Rädern der Sonne steht.
Aus dem Meere, beschworen von dunkler Trompete,
Flieg ich im Dunste der Lügengebete.
Das Tympanum schlag ich mit großem Schall.
Ich hüte die Leichen im Wasserfall.

Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer,
Ein Buchstabenkönig und Alleszerschwätzer.
Hysteria clemens hab ich besungen
In jeder Gestalt ihrer Ausschweifungen.
Ein Spötter, ein Dichter, ein Literat
Streu ich der Worte verfängliche Saat.

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Gedicht: Der Literat von Hugo Ball

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Literat“ von Hugo Ball ist eine Selbstbeschreibung und Selbstdarstellung des lyrischen Ichs, das sich in mehreren Rollen präsentiert: als Gaukler, Prophet, Ketzer und letztlich als Literat. Die zentrale Figur zeichnet sich durch eine Ambivalenz aus, in der sich Gegensätze wie Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Schöpfung und Zerstörung vermischen. Der Sprecher beansprucht eine allumfassende Kenntnis und Macht, die sowohl die physische Welt als auch die Sphäre des Geistes umfasst.

Die ersten beiden Strophen etablieren das lyrische Ich als eine Figur, die durch ihre theatralische Erscheinung und ihre Verbindung zur Zeit und den Elementen auffällt. Der Gaukler Vauvert, der „in hundert Flammen einherläuft“, und vor „Altären aus Sand“ kniet, erzeugt ein Bild von theatralischer Größe und religiöser Anspielung. Die „violetten Sterne“ auf seinem Gewand und die Fähigkeit, die Zeit aus seinem Mund hervorzubringen, unterstreichen diese übermenschliche, fast mythische Präsenz. Zugleich deutet die Aussage, dass er die Menschen mit Auge und Ohr „umfasst“, auf eine Kontrolle und Manipulation der Umwelt hin.

In den folgenden Strophen wird diese zwiespältige Natur weiter ausgebaut. Der Sprecher ist „aus dem Abgrund der falsche Prophet“, der hinter der Sonne steht und aus dem Meer emporsteigt, um Lügengebete zu verbreiten. Dies zeigt eine dunkle Seite, in der Täuschung und Irreführung vorherrschen. Die Verbindung zu „dunkler Trompete“ und der „Dunste der Lügengebete“ verstärkt diesen Eindruck. Die letzte Strophe offenbart schließlich, dass das lyrische Ich ein „Buchstabenkönig“ und „Alleszerschwätzer“ ist, der sich in verschiedenen Rollen, darunter auch als „Spötter“ und „Dichter“, auslebt und letztlich „verfängliche Saat“ der Worte streut. Hier zeigt sich die zerstörerische Kraft der Sprache.

Ball verwendet in seinem Gedicht eine bildreiche und symbolträchtige Sprache, die von religiösen, mythischen und theatralischen Elementen durchzogen ist. Die Personifikation und die Metaphern erzeugen eine Atmosphäre der Mystik und Vieldeutigkeit. Das Gedicht hinterfragt somit die Rolle des Literaten in der Gesellschaft, seine Macht, seine Verantwortung und die potenziellen Gefahren der Sprache selbst. Es ist ein komplexes Selbstporträt, das die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz der menschlichen Existenz widerspiegelt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.