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Der gefallene Cherub

Von

Er kreiste um die gläsernen Pilaster
Und hob die Stimme, daß er gellend riefe.
Es glänzte seines Fluges Hieroglyphe
Im Tempelbau der großen Zoroaster.

Da war′s, als ob der Atem uns entschliefe.
Es sank sein Haupt, wie eine Riesenaster,
Umhüllt von schweren Schwingen seiner Laster
Verschlang ihn eine bodenlose Tiefe.

Wir sahens wohl und uns beschlich ein Sehnen
Nach Untergang und gallgetränkten Tränen
Zu schlürfen aller Trauermeere Flut.

Vergiftet fühlten wir das eigene Wähnen
Und ein Verlangen, uns dort anzulehnen,
Wo der versunkenste der Engel ruht.

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Gedicht: Der gefallene Cherub von Hugo Ball

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der gefallene Cherub“ von Hugo Ball ist eine düstere und symbolträchtige Auseinandersetzung mit dem Thema des Falls, des Verlusts und der Sehnsucht nach dem Untergang. Es zeichnet das Bild eines Engels, der in einer prunkvollen Umgebung umherkreist, bevor er in die Tiefe stürzt, und evoziert damit eine Atmosphäre von spirituellem Verfall und Melancholie.

Die ersten vier Verse beschreiben den Engel in seiner strahlenden Pracht und Aktivität. Er kreist um gläserne Pilaster, erhebt seine Stimme und zeigt somit Macht und Überlegenheit. Die Metapher „Hieroglyphe“ deutet auf die geheimnisvolle und bedeutungsschwangere Natur seines Flugs hin, während der „Tempelbau der großen Zoroaster“ die Erhabenheit und vielleicht auch die spirituelle Heimat des Engels unterstreicht. Doch schon in diesen Versen liegt eine gewisse Vorahnung des Unheils, da die glänzende Fassade trügerisch ist.

Der zweite Teil des Gedichts beschreibt den Fall des Engels. Die Beschreibung des Falls wird durch eine Reihe von starken Bildern verstärkt: Der Engel „sank“ wie eine „Riesenaster“, was die Größe des Falles und die Tragik des Geschehens hervorhebt. Die „schweren Schwingen seiner Laster“ und die „bodenlose Tiefe“ unterstreichen das Gewicht und die Unvermeidlichkeit des Absturzes. Dieser Sturz wird nicht als plötzlicher Verlust dargestellt, sondern als ein langsames Versinken, begleitet von einer Atmosphäre der Stille und des Entsetzens.

Die abschließenden Verse offenbaren die Reaktion der Betrachter, die Zeugen des Falls wurden. Sie empfinden eine Mischung aus Sehnsucht nach dem Untergang, die durch „gallgetränkte Tränen“ und das Schlürfen „aller Trauermeere Flut“ ausgedrückt wird, sowie ein Gefühl der Vergiftung durch das eigene Wähnen. Die Sehnsucht, sich dem Engel anzunähern „wo der versunkenste der Engel ruht“, deutet auf ein tiefes Verständnis und eine Empathie für den gefallenen Engel hin. Das Gedicht ist also nicht nur eine Darstellung des Falles, sondern auch eine Reflexion über die Anziehungskraft des Verfalls, die Faszination des Unbekannten und die menschliche Tendenz, sich von Dunkelheit und Trauer angezogen zu fühlen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.