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Germania an ihre Kinder / Eine Ode

Von

Die des Maines Regionen,
Die der Elbe heitre Aun,
Die der Donau Strand bewohnen,
Die das Odertal bebaun,
Aus des Rheines Laubensitzen,
Von dem duftgen Mittelmeer,
Von der Riesenberge Spitzen,
Von der Ost und Nordsee her!

Horchet! – Durch die Nacht, ihr Brüder,
Welch ein Donnerruf hernieder?
Stehst du auf, Germania?
Ist der Tag der Rache da?

Deutsche, mutger Völkerreigen,
Meine Söhne, die, geküßt,
In den Schoß mir kletternd steigen,
Die mein Mutterarm umschließt,
Meines Busens Schutz und Schirmer,
Unbesiegtes Marsenblut,
Enkel der Kohortenstürmer,
Römerüberwinderbrut!

Zu den Waffen! Zu den Waffen!
Was die Hände blindlings raffen!
Mit der Keule, mit dem Stab,
Strömt ins Tal der Schlacht hinab!

Wie der Schnee aus Felsenrissen:
Wie, auf ewger Alpen Höhn,
Unter Frühlings heißen Küssen,
Siedend auf die Gletscher gehn:
Katarakten stürzen nieder,
Wald und Fels folgt ihrer Bahn,
Das Gebirg hallt donnernd wider,
Fluren sind ein Ozean!

So verlaßt, voran der Kaiser,
Eure Hütten, eure Häuser;
Schäumt, ein uferloses Meer,
Über diese Franken her!

Alle Plätze, Trift′ und Stätten,
Färbt mit ihren Knochen weiß;
Welchen Rab und Fuchs verschmähten,
Gebet ihn den Fischen preis;
Dämmt den Rhein mit ihren Leichen;
Laßt, gestäuft von ihrem Bein,
Schäumend um die Pfalz ihn weichen,
Und ihn dann die Grenze sein!

Eine Lustjagd, wie wenn Schützen
Auf die Spur dem Wolfe sitzen!
Schlagt ihn tot! Das Weltgericht
Fragt euch nach den Gründen nicht!

Nicht die Flur ists, die zertreten,
Unter ihren Rossen sinkt,
Nicht der Mond, der, in den Städten,
Aus den öden Fenstern blinkt,
Nicht das Weib, das, mit Gewimmer,

Ihrem Todeskuß erliegt,
Und zum Lohn, beim Morgenschimmer,
Auf den Schutt der Vorstadt fliegt!

Euren Schlachtraub laßt euch schenken!
Wenige, die sein gedenken.
Höhrem, als der Erde Gut,
Schwillt die Seele, flammt das Blut!

Gott und seine Stellvertreter,
Und dein Nam, o Vaterland,
Freiheit, Stolz der bessern Väter,
Sprache, du, dein Zauberband,
Wissenschaft, du himmelferne,
Die dem deutschen Genius winkt,
Und der Pfad ins Reich der Sterne,
Welchen still sein Fittich schwingt!

Eine Pyramide bauen
Laßt uns, in des Himmels Auen,
Krönen mit dem Gipfelstein:
Oder unser Grabmal sein!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Germania an ihre Kinder / Eine Ode von Heinrich von Kleist

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Germania an ihre Kinder / Eine Ode“ von Heinrich von Kleist ist ein leidenschaftlicher Aufruf zur Einheit und zum Kampf für das Vaterland, geschrieben in einer Zeit der politischen und nationalen Zerrissenheit. Es ist eine Ode, die die deutschen Bürger zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung gegen die französischen Besatzer aufruft und dabei eine starke patriotische Botschaft vermittelt.

Das Gedicht beginnt mit einem Appell an die verschiedenen Regionen Deutschlands, von Main und Elbe bis zum Rhein und zur Ostsee, sich zu vereinen. Es beschwört ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gemeinsamen Erbes. Der Aufruf zur Waffen wird mit drastischen Bildern und Metaphern untermauert, um die Entschlossenheit und den unbedingten Kampfeswillen der Deutschen zu verstärken. Kleist malt das Bild einer alles überwältigenden Flut, die die Feinde hinwegfegen soll, ähnlich einem Naturereignis, wie dem Schmelzen von Gletschern im Frühling.

Der zweite Teil des Gedichts schildert mit schonungslosen Bildern die Grausamkeit des Krieges und die Zerstörung, die er mit sich bringt. Die Verse sind voller Gewaltphantasien und fordern die totale Vernichtung der Feinde, ohne Rücksicht auf Verluste. Das Gedicht endet mit einem Aufruf zur Erhebung über materielle Güter und einer Betonung der Bedeutung von Vaterland, Freiheit, Sprache und Wissenschaft. Diese Werte werden als die eigentlichen Ziele des Kampfes hervorgehoben, und das Gedicht gipfelt in dem Aufruf, entweder eine glorreiche Pyramide zu errichten oder im Kampf für diese Ideale zu sterben.

Kleists „Germania“ ist ein hoch emotionales und propagandistisches Gedicht, das von einer tiefen Verzweiflung über die politische Lage seiner Zeit zeugt. Es spiegelt die Sehnsucht nach einem geeinten und unabhängigen Deutschland wider. Die Verwendung von Bildern extremer Gewalt, die in modernen Augen erschreckend wirken, dient dazu, die Dringlichkeit des Aufrufs zu unterstreichen und die Leser emotional zu mobilisieren. Die Ode ist ein Zeugnis der patriotischen Gefühle und des Willens zur nationalen Erhebung, die in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorherrschten.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.