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November

Von

Solchen Monat muß man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
keiner so verdrießlich sein
und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie naß er alles macht!
Ja, es ist ′ne wahre Pracht.

Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
wie sie tanzen in dem Wind
und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
und sie durcheinander wirbelt
und sie hetzt ohn′ Unterlaß:
Ja, das ist Novemberspaß!

Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
ihren feuchten Himmelstau
ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt′s an jedem Zweig,
einer dicken Träne gleich.

Oh, wie ist der Mann zu loben,
der solch unvernüft′ges Toben
schon im voraus hat bedacht
und die Häuser hohl gemacht;
sodaß wir im Trocknen hausen
und mit stillvergnügtem Grausen
und in wohlgeborgner Ruh
solchem Greuel schauen zu.

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Gedicht: November von Heinrich Seidel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „November“ von Heinrich Seidel ist eine ironische und humorvolle Ode an den gleichnamigen Monat, der traditionell als trüb und ungemütlich wahrgenommen wird. Der Dichter wählt eine ungewöhnliche Perspektive, indem er die typischen negativen Eigenschaften des Novembers – wie Regen, Wind, Wolken und Dunkelheit – explizit lobt und sogar als „Pracht“ bezeichnet. Dies erzeugt einen komischen Effekt und lädt den Leser dazu ein, die konventionelle Sichtweise des Novembers zu hinterfragen.

Die Ironie wird durch die Übertreibung der Beschreibungen verstärkt. Seidel verwendet eine lebendige, bildhafte Sprache, um die Naturgewalten zu beschreiben, beispielsweise wenn er vom „Schlackerwetter“ spricht oder die Blätter als „ganz verloren“ im Wind tanzen lässt. Die Verben „toben“, „maulen“, „graulen“ und „zwirbeln“ vermitteln ein Gefühl der Unbändigkeit und des Chaos, das den Reiz des Novembers ausmacht. Der Dichter stellt auch die Gegensätze klar heraus, indem er das ungestüme Treiben der Natur dem trockenen und geschützten Leben in den Häusern gegenüberstellt.

Der letzte Teil des Gedichts lenkt die Aufmerksamkeit auf die menschliche Perspektive und die Vorteile des Wohnens in Häusern. Hier zeigt sich die Ironie am deutlichsten: Der Dichter lobt den Mann, der die Häuser „hohl gemacht“ hat, also gebaut hat, damit die Menschen dem „unvernüft’ges Toben“ des Novembers in Sicherheit entgehen können. Dies unterstreicht die Ambivalenz des Gedichts. Einerseits genießt der Dichter das Naturschauspiel, andererseits schätzt er den Komfort und die Sicherheit des menschlichen Zuhauses. Die abschließenden Zeilen mit dem „stillvergnügten Grausen“ suggerieren eine Art Distanz und die Fähigkeit, die Widrigkeiten der Natur mit einer gewissen Freude zu betrachten.

Insgesamt ist „November“ eine humorvolle Auseinandersetzung mit den Jahreszeiten und der menschlichen Natur. Es spielt mit Erwartungen und Konventionen, indem es das Hässliche und Unangenehme in etwas Schönes und Unterhaltsames verwandelt. Das Gedicht ist ein Loblied auf die Fähigkeit, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und selbst in widrigen Umständen etwas Positives zu sehen. Es ist ein Appell, die dunkle Jahreszeit anzunehmen und ihre einzigartigen Qualitäten zu schätzen, anstatt sie nur zu beklagen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.