Sechs Tage kannt′ ich sie,
Und liebte sie sechs Tage.
Am siebenten erblaßte sie,
Dem ersten meiner ew′gen Klage.
Noch leb′ ich, zauderndes Geschick!
Ein pflanzengleiches Leben.
O Himmel, ist für den kein Glück,
Dem du Gefühl und Herz gegeben!
O! nimm dem Körper Wärm′ und Blut,
Dem du die Seele schon genommen!
Hier, wo ich wein′, und wo sie ruht,
Hier laß den Tod auf mich herab gebeten kommen!
Was hilft es, daß er meine Jahre
Bis zu des Nestors Alter spare?
Ich habe, Trotz der grauen Haare,
Womit ich dann zur Grube fahre,
Sechs Tage nur geliebt,
Sechs Tage nur gelebt.
Das Leben
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Leben“ von Gotthold Ephraim Lessing ist ein ergreifendes Klagelied über den Verlust einer geliebten Person, das von tiefer Verzweiflung und dem Wunsch nach dem Tod geprägt ist. Der Dichter beschreibt eine kurze, aber intensive Liebesbeziehung, die nur sechs Tage währte, bevor sie durch den Tod der Geliebten abrupt beendet wurde. Diese kurze Spanne der Liebe steht im krassen Gegensatz zum Rest des Lebens, das der Dichter als pflanzengleich, also leblos und ohne Freude, empfindet.
Die zentrale Aussage des Gedichts ist die Unerträglichkeit des Lebens nach dem Verlust. Der Dichter fleht den Himmel an, ihm entweder das Gefühl zu nehmen, welches ihn an seine Trauer erinnert, oder ihn durch den Tod von seinem Leid zu erlösen. Die Wiederholung des Satzes „O! nimm dem Körper Wärm′ und Blut, / Dem du die Seele schon genommen!“ unterstreicht die existentielle Leere, die durch den Verlust entstanden ist. Die Seele scheint bereits gestorben zu sein, und der Körper ist nun ein leeres Gefäß, das nach Erlösung schreit.
Die letzten Verse des Gedichts verstärken die Tragik. Der Dichter fragt, was ihm ein langes Leben bringen soll, wenn die bedeutendste Erfahrung – die Liebe – so kurz war. Selbst im Greisenalter, mit „grauen Haaren“, wird er sich an die kurze Zeit der Liebe erinnern, die wie ein Leuchtfeuer in der Finsternis seines Lebens stand. Die Wiederholung von „Sechs Tage nur geliebt, / Sechs Tage nur gelebt“ betont die Endlichkeit der Freude und die Unerträglichkeit der ewigen Trauer, die aus diesem kurzen Glück resultiert.
Lessings Gedicht ist ein eindringliches Zeugnis der menschlichen Erfahrung von Liebe, Verlust und Verzweiflung. Die Einfachheit der Sprache und die Direktheit der Gefühle machen das Gedicht auch heute noch zugänglich und berührend. Es ist ein Appell an die Empathie und ein Plädoyer für die Bedeutung der Liebe und der Vergänglichkeit des Lebens. Der Wunsch nach dem Tod ist hier nicht Ausdruck von Selbstmordabsichten, sondern der Verzweiflung über das Leid und die Hoffnungslosigkeit, die der Dichter in seinem Leben ohne die Geliebte sieht.
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