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Panard und Galet

Von

1
Sie kamen von der Tränke,
Sie wankten aus der Schenke
Mit einer Zecherschar,
Als es Karfreitag morgen
Und grabesstille war.

Von heissen Stirnen nicken
Und stäuben die Perücken
Wie Wolke birgt den Blitz;
Die spitze Kling′ am Degen
Zuckt wie geschliffner Witz.

Sie taumelten und sangen,
Vom Mund wie Stöpsel sprangen
Die Verse, Schlag auf Schlag;
Da schrie Panard: »O fühlet
Den furchtbar grossen Tag!

Das Universum trauert,
Die dunkle Sonne schauert,
Die Erde wankt und bebt,
Dass unter unsern Füssen
Der hohle Boden schwebt!

Unsicher ist′s, zu stehen,
Und ratsam nicht, zu gehen!
Kehrt um zu unsrem Wirt!« –
Und alsbald kroch die Herde
Zurück zu ihrem Hirt.

Dort blieben sie verborgen
Bis an den dritten Morgen
Tief und geheimnisvoll,
Bis in der goldnen Frühe
Die Osterglocke scholl.

Als die verjüngte Sonne
In Auferstehungswonne
Durchschritt des Frühlings Tor,
Da stiegen aus der Höhle
Weinselig sie hervor.

2
Auf seinem Bette liegt Galet,
Weglachend seines Todes Weh.

Er schickt Panard den Morgengruss,
Sechs neue Lieder zum Genuss.

»Erst wollt′ ich reimen, liebes Kind!
So viele, als Apostel sind.

Doch hab′ ich′s nur auf sechs gebracht,
Weil schon der Totengräber wacht.

Der Totengräber an der Tür
Mit seinem Spaten lauscht herfür.

Der hackt mich mit den andern sechs
Bald unter grünes Grasgewächs.

Leb wohl, mich dünkt, nun muss es sein,
Der beste Reim ist Rhein und Wein!«

3
Es klagt Panard: »Habt ihr gesehn
Die Stätte, wo er ruht?
So könnt ihr meinen Schmerz verstehn
Und meines Herzens Wut!

Der keiner Quelle, noch so rein,
Beim grössten Durst genaht,
Ihn, dem kein schnödes Wässerlein
Die Lippe je betrat,

Ihn haben sie nun hingelegt,
Wo graus vom Turm herab
Die Traufe ihm zu Häupten schlägt
Und plätschert auf dem Grab!

Ich selbst bin nun ein Wasserfass
Dran keine Daube schliesst,
Da stets ein unglückselig Nass
Mir aus den Augen schiesst.

Es regnet meiner Tränen Fluss
Wie toll zu jeder Stund′,
Dass mit der Hand ich decken muss
Das Glas an meinem Mund!

Die süsse Traube sank zur Ruh
Vom Stocke, der ich bin;
O Winzer Tod, nun schneide du
Mich selber bald dahin!«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Panard und Galet von Gottfried Keller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Panard und Galet“ von Gottfried Keller beschreibt die Geschichte zweier trinkfreudiger Gesellen und die Konsequenzen ihrer Lebensweise, wobei der Tod eines der beiden das zentrale Thema darstellt. Das Gedicht gliedert sich in drei Teile, die jeweils unterschiedliche Aspekte des Lebens und Sterbens der beiden Protagonisten beleuchten. Der erste Teil beschreibt einen feuchtfröhlichen Karfreitag, der zweite Galets Tod, und der dritte Panards Trauer.

Der erste Teil, in dem Panard und seine Freunde nach einem feuchtfröhlichen Gelage am Karfreitagmorgen durch die Straßen taumeln, ist voller Kontraste. Während die Welt um sie herum in Grabesstille trauert, feiern sie das Leben und trinken weiter. Die beschworene Weltuntergangsstimmung, Panards theatralische Klage über die wankende Erde, dient lediglich als Vorwand für eine Rückkehr in die Schenke, was die Ironie und den Humor dieser Szene unterstreicht. Dieser Teil dient als Einführung in die Welt der beiden Charaktere, in der Exzess und Genuss im Mittelpunkt stehen. Der Verweis auf Karfreitag, einen Tag der Buße und des Leidens, kontrastiert mit der Lebensfreude und dem Alkoholrausch der Gruppe, was die subversive Natur ihres Verhaltens unterstreicht.

Der zweite Teil, in dem Galet im Angesicht des Todes noch humorvoll Abschied von der Welt nimmt, zeigt seine Lebenshaltung in extremer Form. Trotz des nahenden Todes bleibt er seinem Lebensstil treu und sinnt über Reime und Wein. Galets Todessehnsucht wird auf spielerische Weise durch die Reime und seine Bemerkung, dass der beste Reim „Rhein und Wein“ sei, ausgedrückt. Hier wird die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens mit der Freude am Genuss und der Kunstfertigkeit des Reimenausdrucks verschmolzen. Die Ironie, dass er inmitten des Todes noch an die Poesie denkt, unterstreicht seine unkonventionelle und lebensbejahende Natur, selbst im Angesicht des Todes.

Im dritten Teil wird Panards Trauer über den Tod seines Freundes beschrieben. Panards Klage ist von tiefer Trauer und Verlust geprägt, aber auch von einer gewissen Übertreibung. Seine Metaphern und Vergleiche, wie das „Wasserfass“, aus dem Tränen strömen, betonen die Intensität seiner Trauer. Panards Reaktion zeigt das Ausmaß seiner Bindung zu Galet und die Leere, die der Tod hinterlässt. Zugleich ist in Panards Klage auch eine gewisse Selbstbezogenheit erkennbar, da er sich selbst als Teil des Ganzen, als „Traube“, sieht, die vom „Winzer Tod“ abgeschnitten wird. Damit verbindet Keller die Trauer über den Verlust eines Freundes mit der Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Das Gedicht endet somit mit einer düsteren Reflexion über das Leben, den Tod und die Vergänglichkeit, verknüpft mit einer Hommage an die Freundschaft.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.