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Frühling der Seele

Von

Aufschrei im Schlaf; durch schwarze Gassen stürzt der Wind,
Das Blau des Früblings winkt durch brechendes Geäst,
Purpurner Nachttau und es erlöschen rings die Sterne.
Grünlich dämmert der Fluß, silbern die alten Alleen
Und die Türme der Stadt. O sanfte Trunkenheit
Im gleitenden Kahn und die dunklen Rufe der Amsel
In kindlichen Gärten. Schon lichtet sich der rosige Flor.

Feierlich rauschen die Wasser. O die feuchten Schatten der Au,
Das schreitende Tier; Grünendes, Blütengezweig
Rührt die kristallene Stirne; schimmernder Schaukelkahn.
Leise tönt die Sonne im Rosengewölk am Hügel.
Groß ist die Stille des Tannenwalds, die ernsten Schatten am Fluß.

Reinheit! Reinheit! Wo sind die furchtbaren Pfade des Todes,
Des grauen steinernen Schweigens, die Felsen der Nacht
Und die friedlosen Schatten? Strahlender Sonnenabgrund.

Schwester, da ich dich fand an einsamer Lichtung
Des Waldes und Mittag war und groß das Schweigen des Tiers;
Weiße unter wilder Eiche, und es blübte silbern der Dorn.
Gewaltiges Sterben und die singende Flamme im Herzen.

Dunkler umfließen die Wasser die schönen Spiele der Fische.
Stunde der Trauer, schweigender Anblick der Sonne;
Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden. Geistlich dämmert
Bläue über dem verhauenen Wald und es läutet
Lange eine dunkle Glocke im Dorf; friedlich Geleit.
Stille blübt die Myrthe über den weißen Lidern des Toten.

Leise tönen die Wasser im sinkenden Nachmittag
Und es grünet dunkler die Wildnis am Ufer, Freude im rosigen Wind
Der sanfte Gesang des Bruders am Abendhügel.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Frühling der Seele von Georg Trakl

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Frühling der Seele“ von Georg Trakl ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Themen wie Vergänglichkeit, Tod, Einsamkeit und der Suche nach Reinheit und Erlösung inmitten einer zerrissenen Welt. Das Gedicht ist geprägt von einer melancholischen Grundstimmung, die durch eine düstere Bildsprache, subtile Farbtöne und eine eindringliche Klangfülle erzeugt wird. Der Frühling, der im Titel genannt wird, wirkt weniger als ein Symbol der Hoffnung und des Aufbruchs, sondern eher als eine Kulisse für das Erleben existenzieller Erfahrungen.

Der erste Teil des Gedichts beschreibt eine Szenerie des Erwachens, die von verstörenden Elementen durchzogen ist. Der „Aufschrei im Schlaf“ und der „stürzende Wind“ deuten auf innere Unruhe und Ängste hin. Die Natur wird zwar dargestellt, doch sie wirkt distanziert und bedrohlich, wie das „brechende Geäst“ und die „purpurnen Nachttau“. Die Erwähnung der „dunklen Rufe der Amsel“ und der „Feierlich rauschenden Wasser“ fügt eine weitere Ebene der Melancholie hinzu, während die Sehnsucht nach „sanfter Trunkenheit“ und dem „rosigen Flor“ eine flüchtige Hoffnung aufscheinen lässt. Die Verwendung von Farben wie Grün, Silber und Purpur unterstreicht die beklemmende Atmosphäre und die Zerrissenheit der Seele.

Im weiteren Verlauf des Gedichts wird die Suche nach Reinheit und Erlösung thematisiert. Die wiederholte Betonung des Wortes „Reinheit“ zeugt von einem tiefen Verlangen nach geistiger Läuterung. Die Frage nach den „furchtbaren Pfaden des Todes“ und den „friedlosen Schatten“ deutet auf eine Auseinandersetzung mit dem Unvermeidlichen hin. Das Bild der „Schwester“ in der einsamen Lichtung des Waldes stellt eine mögliche Verbindung zur Liebe und Geborgenheit dar, doch auch hier ist die Atmosphäre von einem Gefühl des Verlustes und der Trauer geprägt. Das „gewaltige Sterben“ und die „singende Flamme im Herzen“ verdeutlichen die innere Zerrissenheit und die Suche nach einem tieferen Sinn.

Die letzten Strophen verstärken den Eindruck der Einsamkeit und der Trauer. Die „dunklen Glocken im Dorf“ und die „Myrthe über den weißen Lidern des Toten“ verweisen auf den Tod als allgegenwärtige Realität. Die „Stunde der Trauer“ und die Erkenntnis, dass „die Seele ein Fremdes auf Erden“ ist, verdeutlichen die Entfremdung des lyrischen Ichs von der Welt. Trotzdem klingt am Ende des Gedichts eine leise Hoffnung an, wenn von „Freude im rosigen Wind“ und dem „sanften Gesang des Bruders“ die Rede ist. Dieser Hoffnungsschimmer vermag die tiefgreifende Melancholie des Gedichts jedoch nicht zu überwinden, sondern fügt ihr eine weitere Ebene hinzu: die Sehnsucht nach Trost und Gemeinschaft in einer Welt voller Leid und Vergänglichkeit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.