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An die heutigen Eucratiten

Von

Was edle Seelen Wollust nennen,
Vermischt mit schnöden Lüsten nicht!
Der ächten Freude Werth zu kennen
Ist gleichfalls unsers Daseins Pflicht.
Ihr fallt oft tiefer, klimmt oft höher,
Als die beglückende Natur:
Ihr kennt vielleicht Epicuräer;
Doch kennt ihr auch den Epicur?

Sind nicht der wahren Freude Grenzen
Geschmack und Wahl und Artigkeit?
Entehrte Scipio mit Tänzen
Den Heldenruhm und seine Zeit?
Die Liebe, die auch Weise loben,
Macht ihre Liebe nicht zu frei:
Der Wein, den Plato selbst erhoben,
Verführt ihn nicht zur Völlerei.

Zu altdeutsch trinken, taumelnd küssen
Ist höchstens nur der Wenden Lust:
Wie Kluge zu genießen wissen,
Verbleibt dem Pöbel unbewußt,
Dem Pöbel, der in Gift verkehret,
Was unserm Leben Stärkung bringt,
Und der die Becher wirklich leeret,
Wovon der Dichter doch nur singt.

Von welchen Vätern, welchen Müttern
Erbt ihr die Einsicht großer Welt?
Die Liebe kennt ihr aus den Rittern,
Die uns Cervantes dargestellt;
Euch heißt der Wein der Unart Zunder,
Und fremder Völker Trinklied Tand:
O dafür bleib′ euch der Burgunder,
Lainez und Babet unbekannt!

Der Unterschied in Witz und Tugend
Ist größer, als man denken kann.
Es zeigt die Sprache muntrer Jugend
Nicht stets der Jugend Fehler an.
Petrarchen, der in Versen herzet,
War Laura keine Lesbia;
Voiture, der so feurig scherzet,
Trank Wasser, wie ein Seneca.

Nie ist der Einfalt Urtheil schwächer,
Als wann′s auf Schriftverfasser geht.
Da heißt Sallust kein Ehebrecher:
Er lehrt ja streng, als Epictet;
Doch Plinius ist zu verdammen:
Der hatte Welt und Laster lieb.
Wie sehr verdient er Straf′ und Flammen,
Weil er ein freies Liedchen schrieb!

So liebreich und so gründlich denken
Die Tadler spielender Vernunft,
Und wünschen, um sie einzuschränken,
Der ernsten Zeiten Wiederkunft;
Der Jahre, da des Gastmahls Länge
Den steifen Sitzern Lust gebar,
Und wiederholtes Wortgepränge,
Was jetzt ein Lied von Carpsern, war.

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Gedicht: An die heutigen Eucratiten von Friedrich von Hagedorn

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die heutigen Eucratiten“ von Friedrich von Hagedorn ist eine bissige Satire, die sich an eine Gruppe von Zeitgenossen richtet, die der Dichter als „Eucratiten“ bezeichnet. Diese Personen werden als Menschen charakterisiert, die in ihrer Lebensweise ein oberflächliches Verständnis von Genuss und Lebensfreude pflegen. Hagedorn prangert ihre mangelnde Fähigkeit an, wahre Freude zu erkennen und von oberflächlichen Genüssen zu unterscheiden, was er durch zahlreiche Beispiele illustriert.

Die Kritik des Dichters manifestiert sich durch eine Gegenüberstellung von wahrer Freude und den vermeintlichen Freuden, denen sich die „Eucratiten“ hingeben. Er warnt vor dem übermäßigen Konsum von Wein, unkontrollierter Liebe und einer Neigung zu vulgären Verhaltensweisen. Die „Eucratiten“ werden als ungebildet dargestellt, da sie historische Persönlichkeiten und ihre Werte falsch verstehen. Hagedorn beruft sich auf Beispiele wie die Liebe der Ritter, Cervantes‘ Darstellung, oder auch auf antike Philosophen wie Plato und Seneca, um die Qualität ihrer Urteile zu unterstreichen.

Ein zentrales Thema ist die Unterscheidung zwischen „Witz und Tugend“ sowie die damit verbundene Frage nach dem richtigen Maß in Bezug auf Vergnügen und Lebensstil. Der Dichter wirft den „Eucratiten“ vor, dass sie oberflächliche Freuden überbewerten und das wahre Wesen von Genuss missverstehen. Ihre „Einfalt“ manifestiert sich auch in ihrer Kritik an Schriftstellern, wobei sie Urteile fällen, die auf falschen Annahmen und einem Mangel an Verständnis basieren. Durch diese Gegenüberstellung entlarvt Hagedorn die Scheinheiligkeit und das mangelnde Urteilsvermögen der Adressaten.

Der Dichter wendet sich mit einem ironischen Unterton an die „Tadler spielender Vernunft“, indem er ihre Vorliebe für die „ernsten Zeiten“ der Vergangenheit und ihre Einschränkungen von Genuss und Lebensfreude kritisiert. Er verspottet ihre konservative Denkweise und ihre Sehnsucht nach einer rigiden Lebensweise, die durch das Aufzählen von Beispielen wie „Gastmahls Länge“ und „Wortgepränge“ veranschaulicht wird. Die letzte Strophe des Gedichts ist ein Höhepunkt der Ironie, da er die Scheinheiligkeit und Borniertheit der kritisierten Personen bloßstellt.

Insgesamt ist das Gedicht eine scharfsinnige Satire, die das Verhalten und die Wertvorstellungen einer bestimmten Gesellschaftsschicht kritisiert. Hagedorn nutzt eine Mischung aus Ironie, Spott und rhetorischen Fragen, um seine Kritik zu verdeutlichen und dem Leser ein tieferes Verständnis von wahrer Freude und einem ausgewogenen Leben zu vermitteln. Die Verwendung von historischen Bezügen und die Gegenüberstellung verschiedener Lebensweisen unterstreichen die zeitlose Relevanz der Thematik.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.