Schiffers Abschied
Hier stehn wir unterm Apfelbaum,
Hier will ich von dir scheiden,
Hier träumte ich so manchen Traum,
Hier trägt sich auch ein Leiden.
Hier sah ich dich zum erstenmal,
In winterlicher Öde!
Wie war der Baum so nackt und kahl,
Wie warst du kalt und spröde!
Doch bald ergrünte Zweig nach Zweig,
Und alle Knospen trieben.
Da sprang dein Herz, den Knospen gleich,
Da fingst du an, zu lieben.
Wie ist er jetzt von Blüten voll!
Wie wird er reichlich tragen!
Doch, wer ihn für dich schütteln soll,
Das wüßt′ ich nicht zu sagen.
Hei! Wie dich säuselnd jener Ast
Mit rotem Schnee bestreute,
Als ob er schon die schwere Last
Der künft′gen Früchte scheute!
Wenn übers Meer der Herbstwind pfeift
Und an dem Mast mir rüttelt,
So denke ich: sie sind gereift,
Und er ist′s, der sie schüttelt!
Und muß mein Schiff vor seinem Braus
Gar an ein Felsriff prallen,
So ruf′ ich noch im Scheitern aus:
Die schönste will nicht fallen!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Schiffers Abschied“ von Friedrich Hebbel ist eine melancholische Reflexion über Abschied, Erinnerung und die Vergänglichkeit von Liebe, verknüpft mit der Naturmetapher eines Apfelbaums. Der Schiffer, der sich von seiner Geliebten trennt, nutzt den Baum als symbolischen Ort, um seine Gefühle auszudrücken. Die Szenerie unter dem Baum wird zum Schauplatz der Liebe, des Schmerzes und der Vorahnung des Abschieds, was dem Gedicht eine tiefere emotionale Resonanz verleiht.
Die ersten beiden Strophen zeichnen ein Bild der Vergangenheit. Die Erinnerung an die erste Begegnung unter dem kahlen Baum, inmitten winterlicher Öde, kontrastiert mit der späteren Entwicklung der Beziehung, symbolisiert durch das Ergrünen und Blühen des Baumes. Die anfängliche Kälte und Sprödigkeit der Geliebten weicht dem Erblühen der Liebe, dargestellt durch das Aufblühen des Baumes im Frühling. Diese Metapher des Baumes spiegelt den Wachstumsprozess der Liebe und die Wandlung von Gefühlen wider.
Die mittleren Strophen thematisieren die Frage nach dem Fortbestand der Liebe nach dem Abschied. Der Schiffer fragt sich, wer die Früchte des Baumes – ein Symbol für die Beziehung – für die Geliebte schütteln wird. Diese Frage spiegelt die Unsicherheit und die Trennung wider, die mit dem Abschied verbunden sind. Der Anblick des blühenden Baumes, der bald Früchte tragen wird, verstärkt das Gefühl des Verlusts und der Sehnsucht. Die letzte Strophe, mit dem Herbstwind, der über das Meer pfeift, deutet auf die bevorstehende Trennung und die Herausforderungen des Schifferlebens hin, während die Hoffnung auf ein Wiedersehen in den reifen Früchten des Baumes weiterlebt.
In den letzten Strophen wird die Metapher des Baumes mit dem Schifferleben verwoben. Die Naturbilder, wie das Bestreuen des Baumes mit „rotem Schnee“ (vermutlich welkende Blütenblätter), werden zu Vorboten der Trennung und des Unvermeidlichen. Selbst im Angesicht des Scheiterns, symbolisiert durch das mögliche Zerschellen des Schiffs an einem Felsriff, behält die Liebe ihren Wert. Der Schiffer ruft im Untergang die unzerstörbare Schönheit der Geliebten aus, wodurch die Liebe über den Tod hinaus Bestand hat. Das Gedicht ist so nicht nur ein Abschied, sondern auch ein Lobgesang auf die Kraft der Liebe und Erinnerung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.