Mann und Weib
Dem Weibe ist ein schönes Los beschieden,
Was sie auch hat, sie hat es ganz und immer,
Sie freut sich an des fernsten Sternes Schimmer,
Allein sie schließt sich ab in klarem Frieden.
Der Mann wird nie so sehr vom Glück gemieden,
Als er es meidet, denn er faßt es nimmer,
Gleichgültig, wird es besser, wird es schlimmer,
Er hört nicht auf, das Dasein umzuschmieden.
Ihr ist es, wie ein zugeworfner Faden,
Sie hält sich dran, und schaudert vor den Wogen,
Die unten dräun, und trinkt des Himmels Lüfte.
Er widersteht nicht, sich im Meer zu baden,
Und forscht, vom hellen Leben abgezogen,
Ob Gott sich nicht verbirgt im Schoß der Grüfte.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Mann und Weib“ von Friedrich Hebbel zeichnet ein kontrastreiches Bild der Geschlechterrollen und ihrer jeweiligen Lebensweisen. Es analysiert die unterschiedlichen Herangehensweisen von Mann und Frau an das Leben, Glück, und die Welt. Die erste Strophe beleuchtet die Frau, die ein „schönes Los beschieden“ hat, indem sie sich ganz und immer an dem erfreuen kann, was sie besitzt. Sie findet inneren Frieden und schließt sich von der Außenwelt ab, was auf eine gewisse Stabilität und Zufriedenheit hindeutet. Die Metapher des „Schimmers des fernsten Sternes“ deutet auf eine Fähigkeit zur Wertschätzung auch des Unscheinbaren hin.
Die zweite Strophe widmet sich dem Mann, der eine gänzlich andere Haltung zum Glück einnimmt. Er wird vom Glück „gemieden“, aber nicht, weil es ihn meidet, sondern weil er es selbst vermeidet. Er scheint eine unstillbare Sehnsucht nach Veränderung und Aktivität zu haben, indem er „das Dasein umzuschmieden“ versucht. Unabhängig davon, ob sich die äußeren Umstände verbessern oder verschlechtern, scheint er unaufhörlich nach neuen Erfahrungen und Erkenntnissen zu streben. Dies impliziert eine gewisse Rastlosigkeit und Unzufriedenheit.
Die dritte Strophe vertieft die Unterschiede in den Geschlechterrollen. Die Frau wird hier mit dem Bild eines „zugeworfnen Fadens“ assoziiert. Sie hält sich daran fest und zieht sich vor den „Wogen“ zurück, die unten toben. Sie sucht Sicherheit und Geborgenheit, während sie „des Himmels Lüfte“ trinkt, was auf eine Tendenz zur Kontemplation und zum Genuss des Schönen hindeutet. Der Mann hingegen „widersteht nicht, sich im Meer zu baden“, was eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Lebens, zur Suche nach Tiefgang und zur Risikobereitschaft andeutet.
Die letzte Zeile ist programmatisch: „Er forscht, vom hellen Leben abgezogen, / Ob Gott sich nicht verbirgt im Schoß der Grüfte.“ Hier wird der Mann als Suchender nach höheren Erkenntnissen dargestellt, der das „helle Leben“ verlassen hat, um in den Tiefen nach Sinn und Wahrheit zu graben. Dies deutet auf eine intellektuelle Neugier und eine Sehnsucht nach metaphysischer Erkenntnis hin. Das Gedicht stellt somit nicht nur Unterschiede in den Geschlechterrollen dar, sondern thematisiert auch die verschiedenen Wege, das Leben zu erleben und zu interpretieren. Es ist ein Plädoyer für die Vielfalt der menschlichen Erfahrungen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.