Die alten Naturdichter und die neuen
(Brockes und Geßner, Stifter, Kompert usw.)
Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken?
Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht!
Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr schwärmen für Käfer?
Säht ihr das Sonnensystem, sagt doch, was wär′ euch ein Strauß?
Aber das mußte so sein; damit ihr das Kleine vortrefflich
Liefertet, hat die Natur klug euch das Große entrückt.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die alten Naturdichter und die neuen“ von Friedrich Hebbel ist eine pointierte Kritik an den Naturdichtern seiner Zeit, insbesondere an Dichtern wie Brockes, Geßner, Stifter und Kompert, die sich in ihren Werken vornehmlich mit der Natur und ihren Schönheiten beschäftigten. Hebbel wirft ihnen vor, dass ihre Fähigkeit, die Natur in ihren Gedichten zu loben, gerade darauf beruht, dass sie die menschliche Existenz und die umfassenderen kosmischen Zusammenhänge nicht wirklich verstehen. Er sieht in ihrer Konzentration auf das Detail eine Beschränkung, die ihre Kunst, trotz ihrer scheinbaren Vollkommenheit, letztlich mindert.
Die ersten beiden Zeilen stellen die zentrale These des Gedichts dar: Die Fähigkeit der Naturdichter, Käfer und Butterblumen so trefflich zu beschreiben, speist sich aus ihrer Unkenntnis der menschlichen Seele und der Weite des Universums. Die rhetorische Frage deutet darauf hin, dass die Leser sich wundern, warum diese Dichter sich so gut mit der Natur beschäftigen können, und bietet dann die überraschende, aber letztlich logische Antwort. Hebbel impliziert, dass die Naturdichter, indem sie sich auf das Detail konzentrieren, die größeren Fragen und Probleme der menschlichen Existenz vernachlässigen, wodurch ihre Kunst reduziert wird.
Die nachfolgenden Zeilen vertiefen diese Kritik. „Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr schwärmen für Käfer?“ verdeutlicht, dass das wahre Ausmaß der menschlichen Erfahrung – die Freuden, Leiden und Komplexitäten – den Naturdichtern verborgen bleibt. Die Frage impliziert, dass das Interesse an den banalen Dingen der Natur abnimmt, sobald man sich mit der Tiefe der menschlichen Seele auseinandersetzt. Ähnlich verhält es sich mit der Auseinandersetzung mit dem Sonnensystem. „Säht ihr das Sonnensystem, sagt doch, was wär′ euch ein Strauß?“ stellt die winzigen, irdischen Schönheiten der Natur in den Kontext der kosmischen Dimensionen.
Die abschließenden Zeilen enthalten eine ironische Rechtfertigung für die vermeintliche Beschränktheit der Naturdichter. „Aber das mußte so sein; damit ihr das Kleine vortrefflich/Liefertet, hat die Natur klug euch das Große entrückt.“ Hier spricht Hebbel von einer Art natürlicher Begrenzung. Die Natur selbst hat den Dichtern das große Ganze vorenthalten, um ihnen zu ermöglichen, sich mit dem Detail, dem Kleinen, so intensiv zu beschäftigen. Dies kann als eine indirekte Kritik an der scheinbaren Spezialisierung der Naturdichtung gesehen werden, die dazu führt, dass sie die großen Fragen des Lebens ausblendet. Das Gedicht endet also mit einer bittersüßen Erkenntnis, dass die Stärken der Naturdichtung gleichzeitig ihre Grenzen sind.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.