Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , ,

Aus der Kindheit

Von

»Ja, das Kätzchen hat gestohlen,
und das Kätzchen wird ertränkt.
Nachbars Peter sollst du holen,
daß er es im Teich versenkt!«

Nachbars Peter hat′s vernommen,
ungerufen kommt er schon:
»Ist die Diebin zu bekommen,
gebe ich ihr gern den Lohn!«

»Mutter, nein, er will sie quälen.
Gestern warf er schon nach ihr,
bleibt nichts andres mehr zu wählen,
so ertränk′ ich selbst das Tier.«

Sieh, das Kätzchen kommt gesprungen,
wie es glänzt im Morgenstrahl!
Lustig hüpft′s dem kleinen Jungen
auf den Arm zu seiner Qual.

»Mutter, laß das Kätzchen leben,
jedesmal, wenn′s dich bestiehlt,
sollst du mir kein Frühstück geben,
sieh nur, wie es artig spielt!«

»Nein, der Vater hat′s geboten,
hundertmal ist ihr verziehn!«
»Hat sie doch vier weiße Pfoten!«
»Einerlei! Ihr Tag erschien!«

»Nachbarin, ich folg′ ihm leise,
ob er es auch wirklich tut!«
Peter spricht es häm′scherweise,
und der Knabe hört′s mit Wut.

Unterwegs auf manchem Platze
bietet er sein Liebchen aus;
aber keiner will die Katze,
jeder hat sie längst im Haus.

Ach, da ist er schon am Teiche
und sein Blick, sein scheuer, schweift,
ob ihn Peter noch umschleiche –
ja, er steht von fern und pfeift.

Nun, wir müssen alle sterben,
Großmama ging dir vorauf,
und du wirst den Himmel erben,
kratze nur, sie macht dir auf!

Jetzt, um sie recht tief zu betten,
wirft er sie mit aller Macht,
doch zugleich, um sie zu retten,
springt er nach, als er′s vollbracht.

Eilte Peter nicht, der lange,
gleich im Augenblick herzu,
fände er, es ist mir bange,
hier im Teich die ew′ge Ruh.

In das Haus zurückgetragen,
hört er auf die Mutter nicht,
schweigt auf alle ihre Fragen,
schließt die Augen trotzig-dicht.

Von dem Zucker, den sie brachte,
nimmt er zwar zerstreut ein Stück;
doch den Tee, den sie ihm machte,
weist er ungestüm zurück.

Welch ein Ton! Er dreht sich stutzend,
und auf einer Fensterbank,
spinnend und sich emsig putzend,
sitzt sein Kätzchen blink und blank.

»Lebt sie, Mutter?« »Dem Verderben
warst du näher, Kind, als sie!«
»Und sie soll auch nicht mehr sterben?«
»Trinke nur, so soll sie′s nie!«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Aus der Kindheit von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Aus der Kindheit“ von Friedrich Hebbel erzählt von der emotionalen Achterbahnfahrt eines Kindes, das die drohende Hinrichtung seiner Katze verhindern will. Es ist ein vielschichtiges Gedicht, das Themen wie Verlust, kindliche Sturheit, die Unbarmherzigkeit der Erwachsenenwelt und die tiefe Bindung zwischen Kind und Tier behandelt. Der Titel des Gedichts deutet bereits darauf hin, dass es sich um eine Erfahrung handelt, die das Kind prägt und ihm einen tiefen Einblick in die Welt der Erwachsenen und das Wesen des Todes gibt.

Das Gedicht beginnt mit der Ankündigung der Hinrichtung des Kätzchens, da es gestohlen hat. Die Mutter delegiert die Aufgabe an den Nachbarn Peter, was die Distanz und Kälte der Erwachsenenwelt verdeutlicht. Das Kind, voller Liebe und Zuneigung zu seinem Tier, versucht verzweifelt, die Hinrichtung zu verhindern. Es bietet der Mutter verschiedene Alternativen an, wie beispielsweise den Verzicht auf das Frühstück, um das Leben des Kätzchens zu retten. Die Hartnäckigkeit der Mutter und das Festhalten an der Entscheidung des Vaters zeigen die Unbarmherzigkeit und das Fehlen von Empathie.

Die Szene am Teich ist der emotionale Höhepunkt des Gedichts. Der Junge, verzweifelt und voller Trauer, wirft das Kätzchen in den Teich, um das Gebot der Erwachsenen zu erfüllen. Der spontane Sprung des Jungen hinterher, um das Tier zu retten, verdeutlicht die Tiefe seiner Liebe und Verbundenheit. Die Angst um den Tod des Jungen, wäre Peter nicht zur Stelle gewesen, unterstreicht die Tragweite der Situation. Hebbel verwendet hier eine eindringliche Bildsprache, um die Intensität der kindlichen Emotionen einzufangen.

Das Gedicht endet mit einer unerwarteten Wendung, die die scheinbare Unausweichlichkeit des Todes aufbricht. Das Kätzchen lebt, und der Junge wird mit der Erkenntnis konfrontiert, dass er selbst dem Tod näher war als sein Tier. Die Versöhnung mit der Mutter und die Akzeptanz des Geschehens werden durch die Geste des Teetrinkens symbolisiert. Der letzte Vers, der die Frage nach dem endgültigen Verbleib des Kätzchens beantwortet, offenbart einen kleinen Sieg der kindlichen Welt über die Erwachsenen. Das Gedicht zeigt, dass Liebe und Mitgefühl stärker sein können als der Tod.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.