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Zur Einweihung eines Brüdertempels

Von

In des neuen Tempels Hallen
Tritt feiernd ein der Brüder Schar.
So laßt das erste Lied erschallen
Dem Gott, der sein wird, ist und war.
Der alte Bau war ihm geweiht,
So segn′ er auch den neuen heut!

Ihn bannet keine heilge Stätte,
Er waltet durch die weite Welt;
Es fehlt sein Arm in keiner Kette,
Die Liebe knüpft und Liebe hält.
Er ist auch hier in unsrer Schar,
Der Gott. der sein wird, ist und war.

Der Gott der Liebe, dessen Tempel
Der Mensch in seinem Busen trägt,
Der Meister, der der Liebe Stempel
Dem Weltenbau hat eingeprägt,
Er, der mit Schönheit, Weisheit, Kraft
Geschaffen hat und ewig schafft.

O großer Bauherr, lehr uns richten
Auch unsern Bau nach deinem Geist!
Dann wird die Macht ihn nicht vernichten,
Die Babels Mauern niederreißt.
Was Hände bauen, stürzt die Zeit,
Wir bauen für die Ewigkeit.

Wir bauen nicht auf Erdengrunde
Ein Werk aus Mörtel, Sand und Stein.
In unsers eignen Busens Runde
Soll unsers Tempels Stätte sein.
Wir bauen in uns fort und fort
Der Menschheit Bau mit Tat und Wort.

Und soll der Bau in uns gedeihen,
So lasset uns nicht müßiggehn.
Wir müssen all uns Einem weihen,
Soll allen dieses Ein erstehn.
Die Eintracht der vereinten Kraft,
Sie ist es, die das Werk erschafft.

So haltet treu und fest, ihr Glieder
Der Kette, so die Welt umkreist!
Ein Wort versammelt alle Brüder,
Und alle Herzen regt ein Geist,
Der Geist der Schönheit, Weisheit, Kraft,
Der schaffen wird und schuf und schafft.

Wohlauf, ihr rüstigen Genossen,
Auf, daß der Tempel steig empor!
Und ist der große Bau geschlossen,
So öffnen wir das heilge Tor,
Und alle Menschen treten ein,
Und alle sollen Brüder sein!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Zur Einweihung eines Brüdertempels von Wilhelm Müller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zur Einweihung eines Brüdertempels“ von Wilhelm Müller ist eine Hymne auf die Ideale der Brüderlichkeit, der Liebe und des gemeinsamen Schaffens im Geiste von Schönheit, Weisheit und Kraft. Es feiert die Einweihung eines neuen Tempels, der jedoch nicht als bloßes Gebäude, sondern als Symbol für einen inneren, spirituellen Bau verstanden werden soll.

Das Gedicht betont die Allgegenwärtigkeit Gottes, der sich nicht auf einen heiligen Ort beschränkt, sondern in der Liebe und in den verbindenden Kräften der Brüderlichkeit wirkt. Der Tempel wird hier als ein Raum der Begegnung und des gemeinsamen Wirkens verstanden, in dem die Ideale der Freimaurerei oder einer ähnlichen Bruderschaft verkörpert werden. Die „Kette“, die die Welt umkreist, symbolisiert die Verbundenheit aller Brüder im Geiste dieser Ideale.

Der zentrale Gedanke des Gedichts liegt in der Aufforderung, den Tempel nicht nur äußerlich zu errichten, sondern vor allem im eigenen Herzen und in der Gemeinschaft zu bauen. Der „Bauherr“ ist dabei nicht nur ein Schöpfer der physischen Welt, sondern auch der Meister, der die Liebe als grundlegendes Prinzip in den Weltenbau eingeprägt hat. Die „Macht“, die Babels Mauern niederreißt, symbolisiert die vergängliche Natur weltlicher Macht und die Notwendigkeit, auf dauerhafte, spirituelle Werte zu bauen.

Das Gedicht schließt mit einer Vision einer universalen Brüderlichkeit, in der alle Menschen in den Tempel eintreten und zu Brüdern werden. Diese Utopie betont die Bedeutung von Eintracht, gemeinsamer Anstrengung und der Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel. Die Sprache ist feierlich und erhaben, geprägt von den Idealen der Aufklärung und des Humanismus, die in der Idee der Brüderlichkeit einen zentralen Wert sehen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.