Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , ,

Schöpfung

Von

1

Irgendwo zerbrach die Himmelsschale,
Und die Sonne, wie verwundet,
Flatterte, Gold und Lava blutend,
Um die aufgerissene Erde.

Rosa Meere
Leuchteten im Frühling ihrer Wellen,
Rauschende Palmen stiegen,
An den Korallen reiften
Die Sternenfrüchte.

Irgendwo erbebte ein Gebirg
Bis in seine starren Gletscher,
Und der erste Tropfen, der sich löste,
Eine Träne zu Tal,
War das erste Lächeln Gottes.

2

Sprühender Dreizack,
Brach das Wort aus stummem Ozean;
Dunkel schillerte der Grund der Erde.

Und die blauen Hämmer des Geistes
Und die Flöten der Engel
Schollen um den entzündeten Himmel.

An des Dunkels eroberten Ufern
Stand der Mensch, einen Pfeil in der Stirn,
Den roten Mund
Offen groß wie einen Triumphbogen:
Hier und da, wenn es ihm einfiel,
Befahl er der kreisenden Sonne zu stehen.

3

Zur Hügelhochzeit
Stürzten Fliederfontänen zu Tal,
Bäume waren voll Weltumarmung,
Und dem Frühling schlugen die Schläfen.

Da, aus dunkler Erdenhütte
Brach ein goldener Orgelsturm:
Zwischen Himmel und Erde gestemmt,
Säule irdischen Gesanges,
Stand der Mensch
Aus dem steinernen Leid
Tief im rauschenden Schoß der Liebe
War der Herrliche auferstanden!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Schöpfung von Yvan Goll

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Schöpfung“ von Yvan Goll beschreibt in kraftvollen, surrealen Bildern den Ursprung der Welt und des Menschen. Es verbindet kosmische Gewalt mit lyrischer Schönheit und zeichnet die Erschaffung von Natur und Mensch als einen dramatischen, fast mythischen Prozess.

In der ersten Strophe wird der Beginn der Welt als ein gewaltiges Aufbrechen geschildert: Die „Himmelsschale“ zerbricht, die Sonne blutet Gold und Lava, während die Erde aufreißt. Dieses Bild einer chaotischen, aber schöpferischen Urgewalt verleiht der Schöpfung eine fast schmerzhafte Intensität. Doch inmitten dieser Katastrophe entstehen Leben und Schönheit – rosa Meere leuchten, Palmen rauschen, und „Sternenfrüchte“ reifen an Korallen. Besonders eindrucksvoll ist das Bild der ersten Träne, die zu Tal rollt und als „erstes Lächeln Gottes“ interpretiert wird – eine berührende Verbindung von Schmerz und Schöpfung.

In der zweiten Strophe setzt sich dieser dynamische Prozess fort: Das „Wort“ bricht aus dem stummen Ozean hervor – eine Anspielung auf die göttliche Schöpfung durch Sprache. Himmel und Erde sind von klangvollen Kräften erfüllt: „blaue Hämmer des Geistes“ und „Flöten der Engel“ begleiten die Entstehung. Der Mensch erscheint als machtvolle, aber auch verletzliche Figur: Mit einem „Pfeil in der Stirn“ steht er an den Ufern der Welt, sein „roter Mund“ ist weit geöffnet, als wäre er bereit, die Schöpfung zu durchdringen und zu beherrschen. Das Bild, dass er der kreisenden Sonne befiehlt zu stehen, verweist auf seinen Größenwahn, aber auch auf seinen schöpferischen Geist.

Die letzte Strophe schildert die Hochzeit von Himmel und Erde. Der Frühling selbst wird als Lebewesen mit pochenden Schläfen dargestellt, während aus der Dunkelheit eine „goldene Orgel“ ertönt – ein Sinnbild für den Aufstieg des Menschen. Dieser erhebt sich aus dem „steinernen Leid“, aus der Mühsal der Erde, und wird durch die Kraft der Liebe zu einer erhabenen Gestalt. Das Gedicht endet mit einer Apotheose des Menschen: „Der Herrliche“ ist auferstanden, als ob die Schöpfung in ihm ihre höchste Form erreicht hätte.

Goll erschafft hier eine kosmische Vision, in der Schöpfung nicht nur als göttlicher Akt, sondern auch als chaotischer, leidenschaftlicher Prozess dargestellt wird. Die kraftvolle Sprache und die Vermischung von Naturbildern mit spirituellen Motiven verleihen dem Gedicht eine fast mystische Dimension, die den ewigen Kreislauf von Zerstörung und Neubeginn eindrucksvoll verdeutlicht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.