Versuch es
Stell dich mitten in den Regen,
glaube an den Tropfensegen,
spinn dich in dies Rauschen ein
und versuche, gut zu sein!
Stell dich mitten in den Wind,
glaub an ihn und sei ein Kind –
lass den Sturm in dich hinein
und versuche, gut zu sein!
Stell dich mitten in das Feuer –
liebe dieses Ungeheuer
in des Herzens rotem Wein
und versuche, gut zu sein!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Versuch es“ von Wolfgang Borchert ist eine eindringliche poetische Aufforderung zur Menschlichkeit in einer oft feindlichen, rauen Welt. In drei Strophen ruft das lyrische Ich dazu auf, sich bewusst den Elementen Regen, Wind und Feuer auszusetzen – sie stehen hier symbolisch für die Widerstände, Herausforderungen und Gefahren des Lebens. Trotz oder gerade wegen dieser Kräfte soll der Mensch versuchen, „gut zu sein“.
Borchert nutzt eine klare, bildhafte Sprache und verbindet die Naturgewalten mit inneren Haltungen: Der Regen wird zum „Tropfensegen“, das Rauschen zur Möglichkeit, sich mit der Welt zu verbinden. Der Wind steht für Veränderung und kindliche Offenheit – der Mensch soll sich nicht verschließen, sondern sich durchlässig machen. Das Feuer schließlich, als stärkstes Bild, symbolisiert Leidenschaft, Schmerz und vielleicht auch Zerstörung, aber zugleich Liebe und Lebensintensität.
Die wiederkehrende Zeile „versuche, gut zu sein“ gibt dem Gedicht einen litaneiartigen, fast gebetsähnlichen Rhythmus. Es geht nicht um Perfektion, sondern um das Bemühen, um eine ethische Grundhaltung, die sich auch unter widrigen Umständen bewähren soll. Gerade vor dem Hintergrund von Borcherts Erfahrungen im Krieg und der Nachkriegszeit erhält diese Botschaft eine besondere Tiefe.
„Versuch es“ ist damit ein leiser, aber eindrucksvoller Appell an das Menschsein. Es fordert keine heldenhaften Taten, sondern eine Haltung: Offenheit, Verletzlichkeit und Güte – selbst im Angesicht von Sturm, Regen und Feuer. In seiner Einfachheit und Ernsthaftigkeit gehört dieses Gedicht zu den eindrucksvollsten poetischen Appellen der deutschen Nachkriegsliteratur.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.