In Hamburg
In Hamburg ist die Nacht
nicht wie in andern Städten
die sanfte blaue Frau,
in Hamburg ist sie grau
und hält bei denen, die nicht beten,
im Regen Wacht.
In Hamburg wohnt die Nacht
in allen Hafenschänken
und trägt die Röcke leicht,
sie kuppelt, spukt und schleicht,
wenn es auf schmalen Bänken
sich liebt und lacht.
In Hamburg kann die Nacht
nicht süße Melodien summen
mit Nachtigallentönen,
sie weiß, dass uns das Lied der Schiffssirenen,
die aus dem Hafen stadtwärts brummen,
genau so selig macht.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „In Hamburg“ von Wolfgang Borchert beschreibt die Nacht in der Hansestadt als etwas Besonderes, das sich von anderen Städten unterscheidet. Die „Nacht“ wird nicht als „sanfte blaue Frau“ personifiziert, sondern erscheint als grau und mit einer ernüchternden Präsenz. Sie ist keine romantische, friedliche Erscheinung, sondern eine Nacht, die „im Regen Wacht hält“, was auf eine düstere, fast melancholische Stimmung hinweist. Die Nacht in Hamburg ist unnachgiebig und beobachtend, besonders bei den „jenen, die nicht beten“, was auf eine gewisse Verlorenheit und Entfremdung hinweist.
Die zweite Strophe stellt die Nacht als eine lebendige, fast übernatürliche Figur dar, die in den Hafenschänken zu Hause ist. Mit den „leicht getragenen Röcken“ und ihrem gespenstischen Auftreten „kuppelt, spukt und schleicht“ sie umher. Diese Darstellung der Nacht als eine verführerische, geheimnisvolle Gestalt, die in den nächtlichen Hafenkneipen lebt, spielt auf das raue und gleichzeitig lebendige Leben an, das in den dunklen Ecken der Stadt herrscht. Hier wird die Nacht als ein Ort für Vergnügung und das Freisein von Konventionen inszeniert.
In der letzten Strophe ändert sich der Blick auf die Nacht – sie ist nicht mehr die romantische Melancholie, sondern eine funktionale Präsenz, die den Klang der „Schiffssirenen“ kennt und anerkennt. Die „Nachtigallentöne“ sind nicht das, was diese Nacht von anderen unterscheidet; stattdessen sind es die Sirenen der Schiffe, die den Klang von Hamburg ausmachen und den Hafen mit Leben erfüllen. Das Gedicht stellt fest, dass die Menschen die Melodien der Stadt – das Brummen der Schiffssirenen – genauso genießen wie die traditionellen, „süßen Melodien“. Die Nacht in Hamburg ist nicht leise und träumerisch, sondern ein Teil des pulsierenden Lebens der Stadt, das durch den Hafen und seine Geräusche charakterisiert wird.
Borchert vermittelt in diesem Gedicht ein Bild von Hamburg als eine Stadt, in der die Nacht nicht für Ruhe oder Romantik steht, sondern als ein Ort für das unaufhörliche Leben und die rauen, realen Erfahrungen der Menschen. Sie ist keine perfekte Idylle, sondern ein Ort des Aktiven, des Sinnlichen und des Überlebens.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.