Das graurotgrüne Großstadtlied
Rote Münder, die aus grauen Schatten glühn,
girren einen süßen Schwindel.
Und der Mond grinst goldiggrün
durch das Nebelbündel.
Graue Straßen, rote Dächer,
mittendrin mal grün ein Licht.
Heimwärts grölt ein später Zecher
mit verknittertem Gesicht.
Grauer Stein und rotes Blut –
morgen früh ist alles gut.
Morgen weht ein grünes Blatt
über einer grauen Stadt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das graurotgrüne Großstadtlied“ von Wolfgang Borchert beschreibt die düstere Atmosphäre und die zerrissene Realität der Großstadt, in der Gegensätze wie Leben und Tod, Licht und Dunkelheit, Glück und Verfall aufeinanderprallen. Zu Beginn steht das Bild von „roten Mündern, die aus grauen Schatten glühn“, was eine Mischung aus Verführung und Gefahr suggeriert. Das „girren einen süßen Schwindel“ weist auf eine Täuschung hin, die die Sinne betört und den Verstand verwirrt. Der Mond, der „goldiggrün“ grinst, fügt sich als weiteres surrealistisches Element ein, das die verzerrte Wahrnehmung der Nacht und der Großstadtwelt verstärkt.
Die „grauen Straßen“ und „roten Dächer“ im nächsten Abschnitt verdeutlichen das trübe, industrielle Bild der Stadt, die von Monotonie und Anonymität geprägt ist. Das „grüne Licht“ stellt dabei einen Moment der Hoffnung oder des Lebens dar, der jedoch nur ein seltener und flüchtiger Augenblick im grauen Alltag ist. Der „späte Zecher“ mit „verknittertem Gesicht“ symbolisiert das Zerrbild des Lebens in der Großstadt, in dem Überarbeitung, Feierkultur und Entfremdung die Menschen prägen und sie in einem Zustand der Müdigkeit und Resignation zurücklassen.
Der abschließende Teil des Gedichts, „Grauer Stein und rotes Blut“, spricht die Verknüpfung von Tod und Leben an, mit einer Art resigniertem Optimismus, dass „morgen früh alles gut“ sei. Die Hoffnung auf einen Neuanfang wird in der Vorstellung des „grünen Blattes“ zum Ausdruck gebracht, das über der „grauen Stadt“ weht – ein Bild für Erneuerung und Veränderung, das jedoch nur im Kontext einer durchdringend grauen, getäuschten Welt existiert. Die Frage bleibt, ob diese Hoffnung auf Veränderung realistisch oder nur ein flüchtiger Traum ist.
Borchert zeichnet hier ein düsteres Bild des städtischen Lebens, das durch die Farben Grau, Rot und Grün geprägt ist und von der Zerrissenheit zwischen der harten Realität und der Sehnsucht nach etwas Besserem erzählt. Das Gedicht lässt den Leser in einer Welt zurück, die von Melancholie, Überdruss und einem Hauch von Hoffnung durchzogen ist, jedoch schwer in die Tat umzusetzen scheint.
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Lizenz und Verwendung
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