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Syrakus

Von

Ja ganz, Marcell, hast du die Gewaltige
Zermalmet, oder glaub‘ ich der Thräne, die
Du ihr geweint, war’s nicht dein Adler
Doch, dein gefürchteter Bote, Vater,

Der Blitze schleudert und Schicksalsrath vollbringt,
Trinakriens vierstädtiges Rom hat er’s
Zermalmt und weggetilgt vom Boden,
Tempel zertrümmert und Burg und Mauer?

Des Denkers selbst, des völkerzerstörenden,
Geschonet nicht, und schlangenbekränzt von Mund
Zu Mund gereicht des Wahnsinns Becher,
Den mit der Flamme der Mordwuth Eris

Mit Blut, die streitbegeisterte, bis zum Rand
Gefüllt, vom zarten Weibe, vom Säugling Blut
Gleich fordernd im bachant’schen Taumel
Wie von den Mördern des Königshauses.

So jemand niederschaute vom grauen Fels,
Der einst umstarrt‘ die Mauer des Dionys,
So er des Berges Schutt und Trümmer,
Hafen und Fels und Dianens Insel

Anblickte fragend: Wo denn erspäh ich sie
Karthagos stolze Siegerin und Athens?
Ich frage Meer und Land: die goldne,
Herrlichste Tochter Korinths, wo ist sie?

Der Ceres Frucht wohl seh ich in jenem Thal,
Ganz andre Garben aber hat einst sie hier
Die Aehrenleserin, die große,
Hat die Geschichte sich hier gewunden,

Die strenge Thatensammlerin, giftig Kraut
Absondernd von süßnährender Frucht, den Sohn
Der Doris und den Sohn des Töpfers
Scheidend von Hierons bessrem Glücke.

O weintest du, Zerstörer, was bliebe noch
Der Nachwelt? Schutt und Grausen von Labdals Burg
Von meerumrauschter Akradina
Bis zu Kronions verwaisten Säulen!

Nur Steine, wo einst Thaten und Tugenden;
Der fromme Stier, wo einst der Tyrann sein Volk
Beschaut; der Mühle Schäumen, wo einst
Sophokles göttlichste Sprach‘ ertönet;

Des Klosters stiller Garten und Blumenweg,
Wo in gigant’scher Grotten Umschattungen
Athens unzählig Heer und Nikias
Qualen des Henkers und Tod erharret.

Das Maulthier wandelt felsige Wildniß hin,
Wo Musen sangen; Hirten und Bettler sind,
Wo mit Jonen und Platonen,
Wo sich mit Timoleonen Freiheit

Und Weisheit fand zu geistigstem Heldenbund
Und selbst die Grazie Männer zur Schlacht geweiht.
Von solchem Bunde bessrer Schwestern
Blutig getrennt hat sich nun die Nachwelt.

Noch wie dem grauen Archias glänzet uns
Das Meer, die milden Lüfte, das reine Licht;
Umrauscht noch von Aegyptens Büschen
Lebt in der Quelle Cyanens Fabel,

Und Arethusa sprudelt die salz’ge Fluth
Noch an Ortygias Ufer mit alter Kraft,
Durchglüht der Sonnenstrahl des Gottes
Süßeste Frucht, der Begeistrung Freundin.

Der Mensch nur leidet. Nimm der Natur des Lichts
Erschaffend, hold erhaltend Geschenk, sie stirbt,
Dem Menschen gleich, dem längst des Lebens
Stolzeste Quelle versiegt, die Freiheit.

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Gedicht: Syrakus von Wilhelm Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Syrakus“ von Wilhelm Waiblinger ist eine elegische Reflexion über die Zerstörung der einst glorreichen Stadt Syrakus. Der Sprecher betrachtet das historische Schicksal der Stadt und beklagt ihren Niedergang, indem er die Vergangenheit lebendig werden lässt. Der römische Feldherr Marcellus, der Syrakus im Zweiten Punischen Krieg eroberte, steht im Zentrum der Betrachtung: War sein Weinen über den Untergang der Stadt echt, oder war es nur eine leere Geste nach der Zerstörung?

Die Verse zeichnen ein Bild des einstigen Ruhmes Syrakus‘ als eine kulturelle Hochburg, die sowohl Karthago als auch Athen ebenbürtig war. Doch dieser Glanz ist längst vergangen – nur Trümmer und leere Ruinen sind geblieben. Der Kontrast zwischen der einstigen Größe der Stadt und ihrer späteren Verwüstung verstärkt die melancholische Stimmung des Gedichts. Insbesondere die Schilderung der blutigen Gewalt während der Eroberung von Syrakus, in der selbst Frauen und Kinder nicht verschont wurden, betont die Grausamkeit des Krieges.

Dennoch bleibt die Natur unberührt: Das Meer, das Licht und die Quellen, wie Arethusa, bestehen fort. Diese Konstante der Natur steht im Gegensatz zur Vergänglichkeit menschlicher Zivilisationen. Die letzte Strophe fasst das zentrale Motiv zusammen: Während die Natur ihre Schönheit bewahrt, hat der Mensch seine größte Errungenschaft – die Freiheit – verloren. Damit wird das Gedicht nicht nur zur Klage über den Fall einer Stadt, sondern zu einer allgemeinen Reflexion über den Verfall großer Kulturen und die Vergänglichkeit menschlichen Ruhms.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.