Weihnachtsbäume
Nun kommen die vielen Weihnachtsbäume
aus dem Wald in die Stadt herein.
Träumen sie Ihre Waldesträume
wieder beim Laternenschein?
Könnten sie sprechen! Die holden Geschichten
von der Waldfrau, die Märchen webt,
was wir uns erst alles erdichten,
sie haben das alles wirklich erlebt.
Da steh′n sie nun an den Straßen und schauen
wunderlich und fremd darein,
als ob sie der Zukunft nicht trauen,
es muß doch was im Werke sein!
Freilich, wenn sie dann in den Stuben
im Schmuck der hellen Kerzen stehn,
und den kleinen Mädchen und Buben
in die glänzenden Augen sehn,
Dann ist ihnen auf einmal, als hätte
ihnen das alles schon mal geträumt,
als sie noch im Wurzelbette
den stillen Waldweg eingesäumt.
Dann stehen sie da, so still und selig,
als wäre ihr heimlichstes Wünschen erfüllt,
als hätte sich ihnen doch allmählich
ihres Lebens Sinn enthüllt;
Als wären sie für Konfekt und Lichter
vorherbestimmt, und es müßte so sein,
und ihre spitzen Nadelgesichter
sehen ganz verklärt darein.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Weihnachtsbäume“ von Gustav Falke beschreibt auf poetische Weise die Reise und Wandlung der Weihnachtsbäume vom Wald in die weihnachtlich geschmückten Stuben der Stadt. Es beginnt mit der Ankunft der Bäume in der Stadt, die metaphorisch als ein Wechsel aus Natur und Zivilisation dargestellt wird. Die Frage, ob die Bäume ihre Waldesträume träumen, deutet auf eine innere Welt, die sie mitbringen, eine Welt, die dem Betrachter verborgen bleibt, aber dennoch spürbar ist.
Die zweite Strophe verstärkt diese Sehnsucht nach der ursprünglichen Heimat, indem sie die Fähigkeit zu sprechen, den Bäumen zuspricht. Die „holden Geschichten“ der Waldfrau und die „Märchen“, die sie webt, stehen für die Geheimnisse und die Lebendigkeit des Waldes. Die Bäume, die diese Geschichten „wirklich erlebt“ haben, stehen nun fremd und staunend vor dem städtischen Treiben. Das „Nicht-Trauen der Zukunft“ deutet auf eine gewisse Unsicherheit oder ein Gefühl des Verlusts, das mit dem Übergang in eine neue Umgebung einhergeht.
Der Wendepunkt des Gedichts liegt in der Beschreibung der Bäume in den weihnachtlich geschmückten Stuben. Der „Schmuck der hellen Kerzen“ und der Anblick der „glänzenden Augen“ der Kinder erwecken in ihnen eine Erinnerung, ein Gefühl des Déjà-vu. Die Bäume scheinen sich zu erinnern, wie sie einst im Wurzelbett den „stillen Waldweg eingesäumt“ haben, und so schließt sich der Kreis ihrer Erfahrung.
Im abschließenden Abschnitt des Gedichts finden die Bäume ihre Bestimmung. Sie stehen nun „still und selig“, ihr „heimlichstes Wünschen“ scheint erfüllt zu sein. Der Sinn ihres Lebens, die Bestimmung für „Konfekt und Lichter“, offenbart sich. Ihre „spitzen Nadelgesichter“ blicken verklärt auf die Welt, was die Erfüllung und den Frieden suggeriert, der durch ihre Rolle in der weihnachtlichen Festlichkeit erreicht wird. Das Gedicht feiert somit die Transformation und die Erfüllung, die mit der Tradition des Weihnachtsbaums verbunden sind.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.