Warum bin ich ein Mädchen?
Warum bin ich ein Mädchen?
Wär′ ich ein kühner Knab′,
Ich hätte längst ergriffen
Den muntern Wanderstab.
Land ein Land aus durchwallte
Ich keck die weite Welt,
Besucht′ uralte Städte
Und des Nomaden Zelt.
Gebirge, Wüsten, Meere
Und Wasserfäll′ und Seen,
Und Feuerberg′ und Inseln,
Nichts würde mir entgehn.
Ich ginge, Nil und Ganges,
Längs eurer Ströme Lauf,
Trotz Wald, Sand, Sumpf und Gletschern,
Zu euerm Quell hinauf;
Erstieg′ trotz seiner Mütze
Der Kapstadt Tafelberg;
Säh′ Nachts an Grönlands Küste
Des Poles Feuerwerk.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Warum bin ich ein Mädchen?“ von Elisabeth Kulmann ist ein Ausdruck der Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer, der sich aus der Perspektive eines jungen Mädchens darstellt. Es beginnt mit einer rhetorischen Frage, die das zentrale Thema des Gedichts etabliert: die Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Einschränkungen, die mit dem Frausein im 19. Jahrhundert einhergingen. Die „kühne Knab’“ ist hierbei nicht nur ein Wunschbild, sondern auch ein Symbol für die Möglichkeiten, die sich jungen Männern damals im Gegensatz zu Frauen boten.
Die folgenden Strophen entfalten eine detaillierte Vision der Welt, die die Sprecherin als „Knab’“ bereisen würde. Es ist eine Welt voller Entdeckungen und Herausforderungen, in der sie die „weite Welt“ erkunden, „uralte Städte“ besuchen und das Leben von „Nomaden“ kennenlernen würde. Die Aufzählung von Naturspektakeln wie „Gebirge, Wüsten, Meere / Und Wasserfäll’ und Seen“ unterstreicht das Verlangen nach Abenteuer und die Sehnsucht nach dem Unbekannten. Sie beschreibt das Überwinden von Hindernissen wie „Wald, Sand, Sumpf und Gletschern“ als Selbstverständlichkeit, was ihre Entschlossenheit und ihren Mut hervorhebt.
Die geographischen Bezüge, wie der Nil, der Ganges, der Tafelberg oder das „Feuerwerk“ des Nordlichts in Grönland, deuten auf eine globale Perspektive und das Bestreben hin, Grenzen zu überwinden. Die Sprecherin stellt sich als jemand vor, der keine Angst vor den Naturgewalten hat und unbeirrt ihr Ziel verfolgt. Diese Reisevorstellungen sind also nicht nur ein Wunsch nach dem Bereisen der Welt, sondern auch ein Ausdruck nach der Unabhängigkeit und nach Selbstverwirklichung.
Letztendlich ist das Gedicht ein starkes Plädoyer für die Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung. Es verdeutlicht die Begrenzungen, die Mädchen und Frauen auferlegt wurden, und zeigt, wie sehr die Sprecherin sich nach einem Leben sehnt, das ihr mehr Möglichkeiten zur Entfaltung bietet. Die Frage „Warum bin ich ein Mädchen?“ wird so zu einem Aufruf, gesellschaftliche Konventionen zu hinterfragen und die Vorstellung von Geschlechterrollen zu erweitern, um Frauen mehr Freiheit und Möglichkeiten einzuräumen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.