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Saget mir ieman, waz ist minne?

Von

Saget mir ieman, waz ist minne?
weiz ich des ein teil, sô wist ichs gerne mê.
der sich baz denn ich versinne,
der berihte mich durch waz si tuot sô wê.
minne ist minne, tuot si wol:
tuot si wê, so enheizet si niht rehte minne.
sus enweiz ich wie si danne heizen sol.

Obe ich rehte râten künne
waz diu minne sî, sô sprechet denne jâ.
minne ist zweier herzen wünne:
teilent sie gelîche, sost diu minne dâ:
sol abe ungeteilet sîn,
sô enkans ein herze alleine niht enthalten.
owê woldest dû mir helfen, frowe mîn!

Frowe, ich trage ein teil ze swaere:
wellest dû mir helfen, sô hilf an der zît.
sî abe ich dir gar unmaere,
daz sprich endelîche: so lâz ich den strît,
unde wirde ein ledic man.
dû solt aber einez rehte wizzen, frouwe,
daz dich lützel ieman baz geloben kan.

Kan mîn frowe süeze siuren?
waenet si daz ich ir liep gebe umbe leit?
sol ich si dar umbe tiuren,
daz siz wider kêre an mîne unwerdekeit?
sô kund ich unrehte spehen.
wê waz sprich ich ôrenlôser ougen âne?
den diu minne blendet, wie mac der gesehen?

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Gedicht: Saget mir ieman, waz ist minne? von Walther von der Vogelweide

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Saget mir ieman, waz ist minne?“ von Walther von der Vogelweide ist eine poetische Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Minne“ – der mittelalterlichen Liebe – und ihren komplexen und widersprüchlichen Aspekten. Zu Beginn stellt der Sprecher eine Frage: „Waz ist minne?“ – was auf eine philosophische und zugleich persönliche Suche nach dem wahren Wesen der Liebe hinweist. Der Sprecher gibt an, dass er einen Teil der Antwort auf diese Frage kennt, aber gerne mehr über die wahre Bedeutung und die richtige Ausübung der Minne erfahren möchte. Diese Unsicherheit über den Begriff und die Natur der Liebe ist ein zentrales Thema des Gedichts.

Die erste Antwort, die der Sprecher auf die Frage nach der Minne gibt, ist vage und unklar: „Minne ist minne“, was darauf hinweist, dass der Begriff schwer zu fassen ist und in sich selbst eine Art Rätsel bleibt. Der Sprecher erklärt, dass die Minne sowohl Freude als auch Schmerz verursachen kann – „tuot si wê, so enheizet si niht rehte minne“. Wenn die Minne also nur Schmerz bringt, kann sie nicht wahre Minne sein. Hier wird die Liebe als ambivalente, sogar widersprüchliche Kraft dargestellt: Sie kann sowohl erfüllend als auch leidvoll sein, und der Sprecher ist sich nicht sicher, wie man diese Kraft im richtigen Maße und im richtigen Kontext leben soll.

In der zweiten Strophe geht der Sprecher weiter und verweist auf die Idee, dass Minne „zweier Herzen Wünne“ sei, ein geteiltes, wechselseitiges Glück. Diese Vorstellung von der Liebe als gegenseitiger Freude ist ein zentrales Motiv der mittelalterlichen Liebeslyrik. Doch der Sprecher fügt hinzu, dass diese Freude nur dann wirklich vorhanden ist, wenn die Minne geteilt und „gelîche“ (gleich) ist. Wenn sie ungeteilt bleibt, ist sie nur schwer zu ertragen und belastet das Herz eines einzelnen. Der Wunsch nach einer gleichwertigen und wechselseitigen Liebe wird hier klar formuliert. Der Sprecher sehnt sich nach dieser Harmonie und bittet seine Dame um Hilfe: „Owê woldest dû mir helfen, frowe mîn!“, was auf eine gewisse Hilflosigkeit und Sehnsucht hinweist, die mit der Liebe und dem Streben nach einer idealen Partnerschaft verbunden ist.

In der dritten Strophe zeigt sich die innere Zerrissenheit des Sprechers. Er trägt „ein teil ze swaere“ (einen Teil der Last) und bittet seine Dame um Hilfe. Doch gleichzeitig fürchtet er, dass er durch seine Liebe und Hingabe in eine Situation der Schwäche und der Ungewissheit geraten könnte. Der Sprecher zeigt sich selbstkritisch, indem er zugibt, dass er „unmaere“ (maßlos) in seiner Liebe ist und es ihm schwerfällt, sich vollständig der Frau zu widmen. Es gibt eine Spannung zwischen der Sehnsucht nach der Frau und der Angst vor den Konsequenzen dieser Hingabe. Der Sprecher wünscht sich eine klare und direkte Antwort von der Frau, um zu wissen, ob seine Liebe erwidert wird.

Am Ende des Gedichts spricht der Sprecher von der Unklarheit und Verwirrung, die mit der Minne verbunden sind. Er fragt sich, ob seine Dame wirklich in der Lage ist, die Liebe richtig zu erwidern oder ob sie ihn in seiner „unwerdekeit“ (Unwürdigkeit) zurückweist. Er sieht die Minne als eine blendende Kraft, die den Verstand vernebelt und es schwierig macht, klar zu sehen – ein Zustand, den er als „unrehte spehen“ (falsches Sehen) bezeichnet. In diesem letzten Abschnitt wird die Minne als eine Art Verführung dargestellt, die den Liebenden in einen Zustand der Unsicherheit und Verwirrung stürzt, wobei das wahre Wesen der Liebe schwer fassbar bleibt.

Insgesamt beschäftigt sich das Gedicht mit der Komplexität der Minne und ihrer doppelten Natur – als Quelle von Freude und Schmerz, von Hoffnung und Enttäuschung. Der Sprecher ist auf der Suche nach einer klaren Antwort und einer gegenseitigen, gleichwertigen Liebe, ist jedoch von der Unsicherheit und den Herausforderungen der Minne überwältigt. Das Gedicht spiegelt die Schwierigkeiten wider, die in der idealisierten Liebe der mittelalterlichen Literatur oft verborgen sind, und zeigt die Ambivalenz und die emotionale Spannung, die mit der Suche nach wahrer Zuneigung verbunden sind.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.