Gasglühlicht summt
Gasglühlicht summt. Ich weiß, ich bin vorhanden,
Und meine Seele hängt am Büchertisch.
Ich schreibe ein Gedicht. Wo werd ich landen!
Im Dunst von großen, lauten Städten fanden
Indessen meine vielen Körper sich.
Schon tauml ich über harten Finsternissen
Ins schäumende Verrücktsein, in die Gruft.
Ein Nerv in meinem Hirn ist aufgerissen,
Nun züngelt Beute auf mit Natterbissen –
Da tanz ich – und es strömt die alte Luft.
Wenn Maskenbälle toller sich betäuben,
Kehrt unser Herz zum Urwald wieder um.
Doch unsre Seelen, ob sie gleich zerstäuben,
Entschweben langsam nach Elysium.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Gasglühlicht summt“ von Walter Hasenclever ist eine expressionistische Reflexion über das Schreiben, die innere Zerrissenheit und die Flucht aus der modernen Großstadtrealität. Schon der erste Vers beschreibt eine kühle, nüchterne Szene: Das summende „Gasglühlicht“ steht für die künstliche, monotone Atmosphäre eines nächtlichen Zimmers, in dem das lyrische Ich an seinem „Büchertisch“ ein Gedicht verfasst. Doch während es schreibt, fühlt es sich entfremdet – die „vielen Körper“ des Ichs irren durch die „großen, lauten Städte“. Damit wird das Motiv der Entfremdung von sich selbst und der Zersplitterung der Identität aufgegriffen.
In der zweiten Strophe wird diese Auflösung weitergeführt: Das lyrische Ich taumelt „über harten Finsternissen“ in den Wahnsinn oder den Tod – „in die Gruft“. Das Bild vom „aufgerissenen Nerv“ und den „Natterbissen“ beschreibt die Überreizung und das schmerzhafte innere Chaos, das typisch für das expressionistische Lebensgefühl ist. Gleichzeitig tritt eine seltsam berauschte Bewegung ein: „Da tanz ich“ – trotz aller Qualen entsteht eine Dynamik, die die Ekstase und das Aufbegehren gegen die innere Leere zeigt.
Der „Maskenball“ steht für die Verlorenheit und die Künstlichkeit der modernen Gesellschaft. Doch aus dieser „Betäubung“ entsteht eine Rückwendung zum „Urwald“ – einem Bild für das Archaische, Ursprüngliche, das den Großstadtrausch kontrastiert. Während die „Herzen“ zurück zu einem ursprünglichen Zustand streben, „zerstäuben“ die Seelen und lösen sich auf, um langsam „nach Elysium“ – dem mythischen Ort des Friedens und der Glückseligkeit – zu entweichen.
Hasenclever verbindet Großstadtkritik mit einem mystischen Unterton. Das Gedicht schwankt zwischen der Rastlosigkeit der modernen Welt und einer geheimen Sehnsucht nach Erlösung und Entgrenzung. Die zerrissene Identität des Ichs, die nervöse Spannung und die poetische Suche nach Transzendenz spiegeln die expressionistische Erfahrung einer existenziellen Krise in einer entfremdeten Zivilisation.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.