Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , ,

Die Nacht fällt

Von

Die Nacht fällt scherbenlos ins Unbewusste;
Erlebnis bröckelt von dir ab wie Kruste.
Schon schirrt der Tag mit Fass, Laterne, Karren
Einäugige Pferde, die auf Futter harren.
Geliebte Fraun! Wo mögt ihr heute träumen!
In was für Betten dunkel euch verschäumen.
Lösch aus, du letzte Kerze, die noch brennt!
Mit froher Güte will ich mich umsäumen.
Wer treu ist, kehrt zurück aus Zwischenräumen
Zu einem gleichen Schicksal, das er kennt.
Ihn wird der eitle Schmerz nicht mehr betören
Dessen, der nichts verliert und nichts behält.
Wer treu ist. wird dem Menschlichsten gehören –
Und so erfüllt er sich in ewiger Welt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Nacht fällt von Walter Hasenclever

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Nacht fällt“ von Walter Hasenclever beschreibt die stille und resignative Stimmung des nächtlichen Übergangs vom Bewusstsein ins Unbewusste. Die „nacht fällt scherbenlos“ – also ohne lauten Bruch – und wird zum Bild einer sanften, fast lautlosen Ablösung vom Tag. Der Vergleich des Erlebten mit einer „Kruste“, die vom Ich abbröckelt, deutet auf den Prozess der inneren Loslösung hin, bei dem das Tagesgeschehen abgestreift wird. Dabei kündigt sich der neue Tag bereits an – „der Tag schirrt“ mit einfachen, fast ärmlichen Mitteln (Fass, Laterne, Karren) und „einäugigen Pferden“ –, ein Bild von Mühsal und Erwartung.

In den folgenden Versen nimmt das lyrische Ich eine nachdenkliche und melancholische Haltung ein. Die Geliebten sind bereits abwesend und entrückt, „verschäumen“ sich „dunkel“ in fremden Betten – ein Ausdruck von Sehnsucht und zugleich Akzeptanz der Trennung. Die Nacht wird zu einer Zeit der Einsamkeit und der stillen Hinwendung zu sich selbst. Die Aufforderung, die „letzte Kerze“ zu löschen, unterstreicht den Wunsch nach Rückzug und dem Loslassen der äußeren Welt.

Das Thema der Treue steht im Mittelpunkt der letzten Strophen. Treue wird hier nicht nur im zwischenmenschlichen, sondern auch im existenziellen Sinn verstanden: Wer „treu“ ist, kehrt aus den „Zwischenräumen“ zurück – aus dem Ungewissen, aus Entfremdung oder Verlust. Derjenige, der „nichts verliert und nichts behält“, überwindet den „eitlen Schmerz“ und entzieht sich damit der Vergänglichkeit.

Hasenclever schließt das Gedicht mit einem idealistischen Gedanken: Wer „treu“ bleibt – im Sinne von innerer Beständigkeit und Gelassenheit – erfüllt sich im „Menschlichsten“ und wird Teil einer „ewigen Welt“. Die Nacht wird so zum Symbol der inneren Prüfung und zur Schwelle zwischen dem Flüchtigen und dem Bleibenden. In schlichter, ruhiger Sprache verbindet das Gedicht Nacht- und Zeitmotive mit einer leisen philosophischen Reflexion über Beständigkeit und Loslösung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.