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1917

Von

Halte wach den Hass. Halte wach das Leid.
Brenne weiter am Stahl der Einsamkeit.

Glaube nicht, wenn du liest auf diesem Papier,
ein Mensch ist getötet, er gleicht nicht dir.

Glaube nicht, wenn du siehst den entsetzlichen Zug
Einer Mutter, die ihren Kleinen trug.

Aus dem rauchenden Kessel der brüllenden Schlacht,
Das Unglück ist nicht von Dir gemacht.

Heran zu den elenden Leichenschein,
Wo aus Fetzen starrt eines Toten Bein.

Bei dem fremden Mann, vom Wurm zernagt,
Falle nieder, du, sei angeklagt.

Empfange die ungeliebte Qual
Aller Verstoß’nen in diesem Mal.

Ein letztes Aug‘, das am Äther trinkt,
Den Ruf, der in Verdammnis sinkt;

Die brennende Wildnis der schreienden Luft.
Den rohen Stoß in die kalte Gruft.

Wenn etwas in deiner Seele bebt,
Das dies Grauen überlebt.

So lass es wachsen, auferstehn
Zum Sturm, wenn die Zeiten unter gehn.

Tritt mit der Posaune des jüngsten Gerichts
Hervor, o Mensch, aus tobendem Nichts!

Wenn die Schergen dich schleppen aufs Schafott,
Halte fest die Macht! Vertraue auf Gott:

Das in der Menschen Mord, Verrat,
Einst wieder leuchte die gute Tat;

Des Herzen Kraft, der Edlen Sinn
Schwebt am gestirnten Himmel hin.

Dass die Sonne, die auf Gute und Böse scheint,
Durch so viel Ströme der Welt geweint,

Gepulst durch unser aller Schlag,
Einst wieder strahle gerechtem Tag.

Halte wach den Hass. Halte wach das Leid.
Brenne weiter, Flamme! Es naht die Zeit.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: 1917 von Walter Hasenclever

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „1917“ von Walter Hasenclever ist ein leidenschaftliches und klagendes Manifest gegen den Ersten Weltkrieg und seine Gräuel. Bereits der Titel verweist auf das Kriegsjahr 1917, ein Jahr tief im Schlachtgeschehen, das von Leid und Zerstörung geprägt war. Das Gedicht ruft dazu auf, das „Hass“ und „Leid“ nicht zu verdrängen, sondern wachzuhalten – als brennende Mahnung und als innere Flamme gegen das Vergessen.

Die ersten Strophen thematisieren die Abstumpfung und Entfremdung gegenüber dem Leiden anderer: Das lyrische Ich mahnt, nicht zu glauben, dass der Tod des „anderen“ nichts mit einem selbst zu tun habe. Der „Mensch, der getötet“ wurde, „gleicht dir“ – es geht um die universelle Verbundenheit der Menschen und das kollektive Mittragen der Schuld an Krieg und Gewalt. Die eindringlichen Bilder vom Leichenzug der Mutter und von den „Leichenscheinen“ verstärken das Unbehagen und die Anklage gegen eine Gesellschaft, die Kriegsopfer als bloße Statistiken verdrängt.

Das Gedicht steigert sich zu einer offenen Anklage: „Sei angeklagt“ heißt es an den Leser, der nicht wegsehen soll. Die „ungeliebte Qual aller Verstoß’nen“ muss angenommen werden, damit ein Bewusstsein für das wirkliche Ausmaß des Schreckens entsteht. Die Sprache bleibt dabei hart und direkt – Hasenclever zwingt das lyrische Ich und den Leser mitten hinein in die „brennende Wildnis“ der „schreienden Luft“ des Krieges.

In der zweiten Hälfte des Gedichts richtet sich der Blick auf die Zukunft: Aus dem Schmerz und dem Grauen soll der Widerstand wachsen, ein „Sturm, wenn die Zeiten unter gehn“. Hasenclever ruft zur Rebellion gegen das Unrecht und die Verblendung auf – bis hin zur Bereitschaft, im Kampf für die Gerechtigkeit selbst „aufs Schafott“ geschleppt zu werden. Doch das Gedicht endet mit einer Hoffnung: Trotz der Dunkelheit bleibt die Vision einer „guten Tat“ und eines „gerechten Tags“, der wieder „strahle“. Das Gedicht verbindet so die radikale Anklage des Krieges mit einer expressionistischen Hoffnung auf eine neue, gerechtere Welt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.