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Über die Begierde des Säuglings

Von

Ob Weizen reift zu Semmel oder Kuchen,
Darüber sorgt der Säugling nicht,
Der einen Busen weiß zu suchen,
Und lallend mit der Amme spricht.

Er bittet nicht um Regen oder helle
Vom Lerchenchor durchsungne Luft,
Wenn selbst die halbversiegte Quelle
Zum Jupiter um Nässe ruft,

Er kennet keine Güter, des Bestrebens,
Des Wunsches seiner Seele werth,
Ihm ist das ganze Glück des Lebens
Die volle Brust, die ihn ernährt.

Nach ihr verlangt er heißer als die Schaaren
Der Römer bey dem Marc Anton
Nach Wasser, als sie schmachtend waren,
Und kämpfend vor den Parther flohn.

An diese Brust fällt er mit größerm Geize
Als ein verliebter Jünglingsmund
An Lippen, die durch ihre Reize
Sein junges Herze machten wund.

Und wenn er nun dies erste Glück verlieret
Und seinen ersten Kummer weint,
Wird seine Mutter tief gerühret,
Mit ihm zur Traurigkeit vereint.

Es dünkt ihr hart, den Säugling so zu quälen,
Und doch ists ein nothwendig Muß:
So weislich läßt der Himmel fehlen
Uns Größern oft den Ueberfluß.

Er thät es nie, wenn nicht Sein Auge wüßte,
Was jedem Menschen nützlich sey,
Er nimmt die Nahrung unsrer Lüste
Und legt uns etwas Beßres bey.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Über die Begierde des Säuglings von Anna Louisa Karsch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Über die Begierde des Säuglings“ von Anna Louisa Karsch ist eine liebevolle Betrachtung der elementaren Bedürfnisse und der ersten Erfahrungen eines Säuglings. Es beginnt mit einer Gegenüberstellung von weltlichen Sorgen, wie der Herkunft von Getreide, und den elementaren Trieben des Kindes. Das Kind hat keine Kenntnis von diesen Dingen, sondern konzentriert sich ausschließlich auf die Befriedigung seiner unmittelbaren Bedürfnisse, insbesondere auf die Nahrungsaufnahme durch die Muttermilch. Die Natur des Säuglings wird als eine reine Form der Begierde dargestellt, die sich nicht um äußere Umstände schert, sondern auf das Wesentliche fokussiert ist.

Im weiteren Verlauf des Gedichts werden die Intensität und die Art dieser Begierde durch bildhafte Vergleiche verstärkt. Der Säugling verlangt nach der Brust seiner Mutter „heißer als die Schaaren / Der Römer bey dem Marc Anton / Nach Wasser, als sie schmachtend waren“. Dieser Vergleich unterstreicht die existenzielle Bedeutung der Nahrungsaufnahme für das Kind. Zudem wird die Begierde des Kindes nach der Brust mit der Leidenschaft eines jungen Mannes für die Lippen seiner Geliebten verglichen, wodurch die Intensität der Sehnsucht des Kindes in den Fokus gerückt wird. Das Gedicht stellt die kindliche Sehnsucht als eine Urform menschlicher Leidenschaft dar.

Der zweite Teil des Gedichts beschäftigt sich mit der Erfahrung des Verlusts und der daraus resultierenden Trauer. Wenn das Kind sein „erstes Glück“ verliert, also die Nahrungsaufnahme beendet wird, weint es, und die Mutter empfindet tiefe Rührung. Hier wird ein Bogen zwischen den ersten Bedürfnissen und den späteren Erfahrungen des Menschen geschlagen. Das Gedicht deutet an, dass die Erfahrung des Verlusts und des Verzichts ein integraler Bestandteil des menschlichen Lebens ist.

Der abschließende Teil des Gedichts offenbart eine philosophische Dimension. Die Autorin deutet an, dass der Verlust der Nahrung und der Verzicht auf den Überfluss eine notwendige Erfahrung ist, die uns auf etwas „Beßres“ vorbereitet. Hier wird eine Verbindung zwischen den irdischen Bedürfnissen des Kindes und einer übergeordneten göttlichen Ordnung hergestellt. Der „Himmel“ nimmt uns den Überfluss weg, da er weiß, was für uns Menschen wirklich nützlich ist. Dies deutet auf eine tröstliche und lebensbejahende Botschaft hin: Auch wenn wir scheinbar scheitern oder etwas verlieren, gibt es einen tieferen Sinn und eine höhere Bestimmung.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.