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Knecht Ruprecht

Von

Von drauß‘ vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelsthor

Sah mit großen Augen das Christkind hervor,
Und wie ich so strolcht‘ durch den finstern Tann,
Da rief’s mich mit heller Stimme an:
„Knecht Ruprecht“, rief es, „alter Gesell,
„Hebe die Beine und spute dich schnell!

„Die Kerzen fangen zu brennen an,
„Das Himmelsthor ist aufgethan,
„Alt‘ und Junge sollen nun
„Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
„Und morgen flieg‘ ich hinab zur Erden,

„Denn es soll wieder Weihnachten werden!“
Ich sprach: „O lieber Herre Christ,
„Meine Reise fast zu Ende ist;
„Ich soll nur noch in diese Stadt,
„Wo’s eitel gute Kinder hat.“

– „Hast denn das Säcklein auch bei dir?“
Ich sprach: „Das Säcklein das ist hier:
„Denn Aepfel, Nuß und Mandelkern
„Fressen fromme Kinder gern.“
– „Hast denn die Ruthe auch bei dir?“

Ich sprach: „Die Ruthe, die ist hier:
„Doch für die Kinder nur, die schlechten,
„Die trifft sie auf den Theil den rechten.“
Christkindlein sprach: „So ist es recht;
„So geh mit Gott, mein treuer Knecht!“

Von drauß‘ vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich’s hierinnen find‘!
Sind’s gute Kind‘, sind’s böse Kind‘?

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Gedicht: Knecht Ruprecht von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm ist ein klassisches Weihnachtsgedicht, das mit erzählerischer Leichtigkeit und volksliedhafter Sprachmelodie eine kindgerechte, zugleich tief verwurzelte Vorstellung vom Fest inszeniert. Es verbindet religiöse Symbolik mit volkstümlichem Brauchtum und stellt die Figur des Knecht Ruprecht als Mittler zwischen himmlischer Botschaft und irdischem Handeln dar.

Die Eingangsstrophe – „Von drauß’ vom Walde komm ich her; / Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!“ – ist zu einer der bekanntesten Einleitungen deutscher Weihnachtsdichtung geworden. Sie schafft sofort eine festliche, leicht geheimnisvolle Stimmung, indem sie die Natur und das Nahen des Weihnachtsfestes miteinander verknüpft. Der „Wald“ steht als Ort des Übergangs zwischen Welt und Himmel, aus dem Knecht Ruprecht heraustritt.

Im Folgenden beschreibt Knecht Ruprecht seine Begegnung mit dem Christkind, das ihm im dunklen Tann erscheint. Diese Szene gibt dem Gedicht einen beinahe mystischen Ton: Aus dem „Himmelsthor“ blickt das Christkind herab und ruft den Knecht auf, seine Aufgabe zu erfüllen. Die Rede des Christkinds bringt eine weihnachtliche Botschaft mit sich: Die Menschen sollen von der „Jagd des Lebens“ ruhen – ein Moment der Besinnung und inneren Einkehr steht bevor.

In der zweiten Hälfte entwickelt sich ein klassisches Motiv des Nikolaus- und Knecht-Ruprecht-Brauches: die Frage nach Belohnung und Bestrafung. Ruprecht trägt sowohl ein Säcklein mit Gaben als auch die Rute – Symbole für Gnade und Gerechtigkeit. Die Vorstellung vom gerechten Lohn – je nach Verhalten der Kinder – wird hier liebevoll, aber mit moralischem Ernst inszeniert. Dabei bleibt der Ton freundlich, der Mahnung wohnt keine Strenge inne, sondern eher ein spielerischer Ernst.

Das Gedicht endet mit der direkten Wendung an die Zuhörer – vermutlich Kinder: „Sind’s gute Kind’, sind’s böse Kind’?“ Diese letzte Frage bricht die erzählte Geschichte auf und überträgt sie in die Gegenwart des Lesers oder Zuhörers. So wird „Knecht Ruprecht“ nicht nur zur stimmungsvollen Erzählung, sondern auch zu einem moralischen Spiegel, der zur Reflexion über das eigene Verhalten anregt – ganz im Sinne einer traditionellen, aber warmherzigen Weihnachtsbotschaft.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.