Gasel
Du weißt es, wie mein ganzes Herz allein durch deine Milde lebt,
Du weißt es, wie mein ganzes Herz allein in deinem Bilde lebt;
Denn wie die Schönheit nimmer schön, die nicht der Seele Atem kennt,
Wie durch des Lichtes Kraft allein der Zauber der Gefilde lebt,
So ist das Leben nicht belebt als durch der Liebe Sakrament;
Das fühlet, wer die Liebe fühlt, wer unter ihrem Schilde lebt.
Ich aber, der die liebste Frau sein unverlierbar Eigen nennt,
Ich fühle, wie die ganze Welt allein in ihrem Bilde lebt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Gasel“ von Theodor Storm ist eine Hommage an die Liebe und insbesondere an eine geliebte Frau, die für das lyrische Ich zum Inbegriff des Lebenssinns und der Schönheit wird. In formaler Anlehnung an die arabisch-persische Gedichtform der Ghazal zeichnet sich das Gedicht durch Wiederholungen, eine musikalische Struktur und ein hohes Maß an Innerlichkeit aus. Der Titel verweist bereits auf die orientalische Inspirationsquelle, in deren Tradition die Verbindung von Liebe, Spiritualität und Poesie zentral ist.
Im Zentrum des Gedichts steht das Bekenntnis, dass das Herz des Sprechers nur durch die Milde der Geliebten lebt und in ihrem Bild seine Erfüllung findet. Diese doppelte Wiederholung – „mein ganzes Herz allein durch deine Milde lebt“ und „mein ganzes Herz allein in deinem Bilde lebt“ – unterstreicht, wie sehr das Selbst des lyrischen Ichs mit der Geliebten verschmolzen ist. Ihre Anwesenheit ist nicht nur Quelle des Gefühls, sondern auch Ursprung aller Lebendigkeit.
Storm nutzt in der Mitte des Gedichts mehrere Gleichnisse, um diese Bedeutung der Liebe zu verdeutlichen: So ist etwa Schönheit nur dann wahrhaft schön, wenn sie von Seele durchdrungen ist, und die Landschaft lebt erst durch das Licht. Diese Vergleiche dienen dazu, die Liebe als essenziellen Lebensimpuls darzustellen – nicht als Beiwerk, sondern als sakrales Prinzip: „So ist das Leben nicht belebt als durch der Liebe Sakrament“. Hier wird die Liebe fast religiös verklärt, als heiliges Band, das dem Dasein Sinn verleiht.
Die Schlusszeile schließlich hebt die persönliche Erfahrung auf eine allgemeine Ebene: Der Sprecher empfindet die ganze Welt als lebendig im Bild der Geliebten. Damit wird sie zum universellen Spiegel des Daseins. Das Gedicht bleibt trotz seiner formalen Strenge von tiefer emotionaler Wärme durchzogen – es ist eine stille, fast mystische Feier der Liebe, in der das individuelle Erleben zur überzeitlichen Wahrheit wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.