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Das Trauerspiel von Afghanistan

Von

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält.
„Wer da!“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“

„Afghanistan!“ er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all,
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So laßt sie’s
hören
, daß wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter, blast in die Nacht hinaus!“

Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd‘,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer
kam heim aus Afghanistan.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Trauerspiel von Afghanistan von Theodor Fontane

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“ von Theodor Fontane schildert die tragische Niederlage der britischen Armee im Ersten Anglo-Afghanischen Krieg (1839–1842). Fontane verarbeitet hier ein historisches Ereignis in balladenhafter Form, wodurch das Geschehen eine dramatische und volksliedhafte Note erhält. Die sich steigernde Spannung, das Motiv der vergeblichen Hoffnung und das erschütternde Ende verleihen dem Gedicht eine melancholische Wucht.

Die Handlung setzt mit dem Eintreffen eines einzigen Überlebenden in Dschellalabad ein. Er bringt die erschütternde Nachricht, dass von ursprünglich dreizehntausend Menschen – Soldaten, Frauen, Kinder – niemand außer ihm überlebt hat. Die drastische Schilderung von Erfrierung, Verrat und Niedermetzelung macht die Unausweichlichkeit des Untergangs spürbar. Besonders eindringlich ist die Szene, in der die britischen Soldaten aus der Festung heraus Musik spielen, in der Hoffnung, weitere Überlebende anzulocken. Doch ihre Rufe bleiben unbeantwortet – ein starkes Bild für die Verlorenheit der Armee.

Der Schlussvers „Einer kam heim aus Afghanistan“ verstärkt die Wirkung der Katastrophe, indem er mit erschreckender Klarheit das völlige Scheitern des Feldzugs zusammenfasst. Damit stellt das Gedicht nicht nur eine Kriegsniederlage dar, sondern thematisiert auch die Sinnlosigkeit militärischer Unternehmungen und die unbarmherzige Gewalt der Geschichte. Die karge, fast emotionslose Feststellung des Endes betont die Trostlosigkeit der menschlichen Existenz angesichts solch vernichtender Schicksalsschläge. Fontanes Ballade ist somit nicht nur eine historische Erzählung, sondern auch eine eindringliche Reflexion über Krieg, Vergänglichkeit und vergebliche Hoffnung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.