Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , ,

Arm oder reich

Von

„Sagen Sie, sind Sie dem lieben Gold
in der Tat so wenig hold,
Blicken Sie wirklich, fast stolz, auf die Hüter,
aller möglichen irdischen Güter?
Ist der Kohinoor, dieser ‚Berg des Lichts‘,
Ihnen allen Ernstes nichts?“

So stellen zuzeiten die Fragen sich ein,
und ich sage dann „ja“ und sag‘ auch „nein“.

Wie meistens hierlandes die Dinge liegen,
bei dem Spatzenflug, den unsre Adler fliegen
(Nicht viel höher als ein Scheunentor),
zieh‘ ich das Armsein entschieden vor.

Dies Armsein ist mir schon deshalb genehmer,
weil für den Alltag um vieles bequemer.
Von Vettern und Verwandtenhaufen
werd‘ ich nie und nimmer belaufen,
es gibt – und dafür will Dank ich zollen –
keine Menschen, die irgend was von mir wollen.
Ich höre nur selten der Glocke Ton,
keiner ruft mich ans Telefon,
ich kenne kein Hasten und kenne kein Streben
und kann jeden Tag mir selber leben.

Und doch, wenn ich irgend etwas geschrieben,
das, weil niemand es will, mir liegen geblieben,
oder wenn ich Druckfehler ausgereutet,
da weiß ich recht wohl, was Geld bedeutet.
Und wenn man trotzdem, zu dieser Frist,
den Respekt vor dem Gelde bei mir vermißt,
so liegt das daran ganz allein:
Ich finde die Summen hier immer zu klein.

Was, um mich herum hier, mit Golde sich ziert,
ist meistens derartig, daß mich’s geniert;
Der Grünkramhändler, der Weißbierbudiker,
der Tantenbecourer, der Erbschaftsschlieker,
der Züchter von Southdownhammelherden,
Hoppegartenbarone mit Rennstallpferden,
Wuchrer, hochfahrend und untertänig –
sie haben mir alle viel viel zu wenig.

Mein Intresse für Gold und derlei Stoff
beginnt erst beim Fürsten Demidoff,
bei Yussupoff und bei Dolgorucky,
bei Sklavenhaltern aus Süd-Kentucky,
bei Mackay und Gould, bei Bennet und Astor,
hierlandes schmeckt alles nach Hungerpastor –
erst in der Höhe von Van der Bilt
seh‘ ich mein Ideal gestillt:
Der Nil müßte durch ein Nil-Reich laufen,
China würd‘ ich meistbietend verkaufen,
einen Groß-Admiral würd‘ ich morgen ernennen,
der müßte die englische Flotte verbrennen,
auf daß, Gott segne seine Hände,
das Kattun-Christentum aus der Welt verschwände.
So reich sein, das könnte mich verlocken –
sonst bin ich für Brot in die Suppe brocken.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Arm oder reich von Theodor Fontane

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Arm oder reich“ von Theodor Fontane beschäftigt sich auf ironische Weise mit dem Verhältnis des lyrischen Ichs zum Geld. Es beginnt mit der Frage, ob Reichtum wirklich so unwichtig sei, worauf der Sprecher eine ambivalente Antwort gibt: Er bejaht und verneint zugleich. Diese Doppelantwort prägt das gesamte Gedicht, das zwischen distanzierter Gleichgültigkeit und der Faszination für enormen Reichtum schwankt.

Fontane beschreibt zunächst die Vorteile eines bescheidenen Lebens: Kein Druck von Verwandten, keine ständige Erreichbarkeit, kein gesellschaftlicher Zwang – das einfache Leben bedeutet Freiheit. Gleichzeitig wird jedoch angedeutet, dass Geld durchaus eine Rolle spielt, insbesondere wenn es um Anerkennung und Erfolg geht. Der Spott auf die kleinbürgerlichen Reichen zeigt dabei eine gewisse Verachtung für jene, die sich mit vergleichsweise bescheidenem Wohlstand brüsten, aber dennoch nur wenig Einfluss haben.

Erst bei extremem Reichtum – bei Namen wie Demidoff, Astor oder Van der Bilt – wird das Interesse des Sprechers geweckt. In überzogenen Bildern fantasiert er von weltpolitischer Macht und gigantischem Reichtum, der sogar ausreicht, um Nationen zu kaufen und Kriege zu führen. Diese Übertreibungen entlarven letztlich die eigene Ironie: Wirklich reich zu sein, ist ebenso unerreichbar wie belanglos, wenn man in der Realität doch nur „Brot in die Suppe brocken“ kann. Das Gedicht schwankt gekonnt zwischen Spott, Nachdenklichkeit und Humor und hinterfragt kritisch die Bedeutung von Reichtum in einer Gesellschaft, die ihn oft überhöht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.