Oft
Warum erscheint mir immer wieder
Ein Abendtal, sein Bach und Tannen?
Es blickt ein Stern verständlich nieder
Und saht mir: wandle still von dannen.
Dann zieh ich fort von guten Leuten.
Was konnte mich nur so verbittern?
Die Glocken fangen an zu läuten.
Und der Stern beginnt zu zittern.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Oft“ von Theodor Däubler kreist um eine wiederkehrende innere Vision, in der Natur und Gefühl zu einem geheimnisvollen Bild verschmelzen. Es schildert eine melancholische Szene in einem Abendtal, das dem lyrischen Ich offenbar vertraut ist und in dem sich eine tiefe emotionale Bewegung vollzieht. Die Sprache bleibt knapp, doch in den wenigen Versen entsteht ein starkes Gefühl von Entfremdung, Sehnsucht und innerem Aufbruch.
Die erste Strophe beschreibt eine fast traumhafte Szenerie: Ein Tal mit Bach und Tannen, über dem ein Stern „verständig“ blickt und leise zur Weiterreise auffordert. Die Personifizierung des Sterns als eine Art weisende Instanz verleiht dem Bild eine mystische Tiefe. Die Aufforderung „wandle still von dannen“ klingt nicht bedrohlich, sondern eher sanft, fast tröstend – als wäre das Gehen Teil eines unausweichlichen inneren Weges.
In der zweiten Strophe setzt das Ich diesen inneren Impuls um und verlässt „gute Leute“ – ein Ausdruck, der sowohl Geborgenheit als auch Trauer über den Abschied andeutet. Die Frage „Was konnte mich nur so verbittern?“ offenbart eine innere Zerrissenheit, vielleicht auch Unverständnis gegenüber dem eigenen Drang zur Distanz. Diese Selbstbefragung verweist auf eine tieferliegende, ungreifbare Unruhe, die das Ich zum Gehen bewegt.
Das Läuten der Glocken und das Zittern des Sterns in der letzten Zeile deuten auf eine existenzielle Schwellensituation hin: Abschied, Wandlung, vielleicht sogar Tod oder eine spirituelle Erfahrung. Die Natur spiegelt die seelische Bewegung wider – der Stern, zuvor ruhig und weise, beginnt nun zu zittern. Das könnte ein Ausdruck der inneren Erschütterung sein oder ein Hinweis auf die Verletzlichkeit des scheinbar festen Orientierungspunkts.
„Oft“ ist ein stilles, rätselhaftes Gedicht über wiederkehrende emotionale Brüche, über die Ahnung einer höheren Ordnung – und das unstillbare Bedürfnis, sich dieser Ordnung durch Loslösung zu nähern. Es lässt Raum für Deutung und lebt von seiner symbolischen Dichte bei zugleich äußerster sprachlicher Zurückhaltung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.