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Der Atem der Natur

Von

Der Atem der Natur, der Wind, die Phantasie der Erde,
Erträumt die Götterwolken, die nach Norden wehn.
Der Wind, die Phantasie der Erde, denkt sich Nebelpferde,
Und Götter sehe ich auf jedem Berge stehn!

Ich atme auf und Geister drängen sich aus meinem Herzen.
Hinweg, empor! Wer weiß, wo sich ein Wunsch erkennt!
Ich atme tief: ich sehne mich, und Weltenbilder merzen
Sich in mein Innres ein, das seinen Gott benennt.

Natur! nur das ist Freiheit, Weltalliebe ohne Ende!
Das Dasein aber macht ein Opferleben schön!
Oh Freinatur, die Zeit gestalten unsere Werkzeugshände,
Die Welt, die Größe, selbst die Überwindungshöhn!

Ein Wald, der blüht, das Holz, das brennend, wie mit Händen, betet,
Wir alle fühlen uns nur durch das Opfer gut.
Oh Gott, oh Gott, ich Mensch habe alleine mich verspätet,
Wie oft verhielt ich meine reinste Innenglut!

Im Tale steigt der Rauch, als wie aus einer Opferschal,
So langsam und fast heilig, überm Dorf empor.
Ich weiß es wohl, die Menschen opfern selbst von ihrem Mahle,
Da eine Gottheit sich ihr Herdfeuer erkor!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Atem der Natur von Theodor Däubler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Atem der Natur“ von Theodor Däubler ist eine hymnische Dichtung, in der Natur, Geist und göttliches Erleben ineinanderfließen. Der Wind wird als „Phantasie der Erde“ bezeichnet – ein poetisches Bild für die kreative, beseelte Kraft der Natur. Aus dieser schöpferischen Energie entstehen „Götterwolken“ und „Nebelpferde“, Visionen, die das Göttliche sichtbar machen. Die Welt wird nicht nüchtern betrachtet, sondern durch eine tief spirituelle Imagination erlebt.

Das lyrische Ich ist dabei nicht Beobachter, sondern Teil dieses kosmischen Spiels. Es „atmet tief“ und spürt, wie sich Geister aus seinem Inneren drängen – ein Bild für Inspiration, Sehnsucht und das Bedürfnis, sich mit dem Universum zu verbinden. Die Natur wirkt als Spiegel und Projektionsfläche für innere Wünsche und Visionen, die das Göttliche benennen und erfahrbar machen. In der Verbindung von Atem und Geist offenbart sich eine fast mystische Erfahrung von Transzendenz.

Freiheit wird nicht als individuelle Autonomie verstanden, sondern als völlige Auflösung im „Weltalliebe ohne Ende“. Die Natur erscheint als unendliche, heilige Kraft, der sich der Mensch durch Hingabe annähern kann. Interessanterweise wird das „Opfer“ nicht negativ konnotiert, sondern als edle Geste gedeutet, die dem Dasein Schönheit und Sinn verleiht. Selbst in der „Überwindungshöhn“, also im Streben über sich hinaus, liegt Größe.

Zentrale Bilder wie der blühende Wald oder das brennende Holz, das „wie mit Händen betet“, verleihen dem Naturerleben religiöse Tiefe. Es ist ein Kult der Lebendigkeit und des Verzichts zugleich. Die letzte Strophe bringt das Göttliche in den Alltag zurück: Der Rauch über dem Dorf wird zum Zeichen des Opfers – nicht nur als ritueller Akt, sondern als Ausdruck einer existenziellen Haltung, in der das Leben selbst zur Gabe wird.

Däubler erschafft ein Gedicht, das zwischen Kosmos und Innerlichkeit, Naturmystik und religiösem Gefühl oszilliert. Die poetische Sprache ist voller Bewegung, Vision und innerer Glut. In diesem Weltbild ist der Mensch nicht Zentrum, sondern Teil eines größeren Zusammenhangs – und nur durch Hingabe, Sehnsucht und Opfer wird er wirklich frei.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.