Willst du noch länger
Willst du noch länger auf den kahlen böden
Nach frühern vollen farben spähn –
Auf früchte warten in den fahlen öden
Und ähren von verdrängten sommern mähn?
Bescheide dich wenn nur im schattenschleier
Mild schimmernd du genosssene fülle schaust
Und durch die müden lüfte ein befreier
Der wind der weiten zärtlich um uns braust.
Und sieh ! die tage die die wunden brannten
In unsrer vorgeschichte schwinden schnell…
Doch alle dinge die wir blumen nannten
Versammeln sich am toten quell.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht *Willst du noch länger* von Stefan George thematisiert den Verlust vergangener Fülle und die Schwierigkeit, sich von vergangenen Zeiten zu lösen. Es stellt die Frage, ob es sinnvoll ist, vergeblich nach der einstigen Pracht zu suchen oder ob man sich mit der verbliebenen Erinnerung begnügen sollte.
Die erste Strophe beschreibt eine karge, entleerte Landschaft, die in starkem Kontrast zu den „verdrängten Sommern“ steht. Das Bild der „kahlen Böden“ und der „fahlen Öden“ verstärkt den Eindruck von Vergänglichkeit und unerfüllter Sehnsucht. Die Natur dient hier als Sinnbild für eine verlorene Vergangenheit, sei es in persönlicher, historischer oder geistiger Hinsicht.
Die zweite Strophe schlägt eine gedämpfte, resignative Alternative vor: Anstatt nach der unwiederbringlichen Fülle zu suchen, soll man sich mit einem schwachen Abglanz der Vergangenheit begnügen. Der „Schattenschleier“ und der „milde Schimmer“ stehen für eine verblassende Erinnerung, während der Wind als „Befreier“ wirkt, der sanft über die Müden hinwegstreicht. Hier klingt die Möglichkeit an, sich mit dem Verlust abzufinden und darin sogar Trost zu finden.
Die letzte Strophe betont den unwiderruflichen Charakter des Vergangenen. Die schmerzhaften Tage verblassen zwar, doch alle Dinge, die einst lebendig waren („die wir Blumen nannten“), versammeln sich an einem „toten Quell“. Dieses Bild verstärkt die melancholische Atmosphäre: Was einst blühte, ist nun nur noch eine Erinnerung – gesammelt an einem Ort, der kein neues Leben mehr spendet. So zeichnet George ein Bild von Vergänglichkeit und der Notwendigkeit, sich mit der Endlichkeit des Schönen abzufinden.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.