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Weihe

Von

Hinaus zum strom! wo stolz die hohen rohre
Im linden winde ihre fahnen schwingen
Und wehren junger wellen schmeichelchore
Zum ufermoose kosend vorzudringen.

Im rasen rastend sollst du dich betäuben
Am starken urduft, ohne denkerstörung.
So dass die fremden hauche all zerstäuben.
Das auge schauend harre der erhörung.

Siehst du im takt des strauches laub schon zittern
Und auf der glatten fluten dunkelglanz
Die dünne nebelmauer sich zersplittern?
Hörst du das elfelied zum elfentanz?

Schon scheinen durch der zweige zackenrahmen
Mit sternenstädten selige gefilde.
Der zeiten flug verliert die alten namen
Und raum und dasein bleiben nur im bilde.

Nun bist du reif, nun schwebt die herrin nieder,
Mondfarbne gazeschleier sie umschlingen.
Halboffen ihre traumesschweren lider
Zu dir geneigt die segnung zu vollbringen:

Indem ihr mund auf deinem antlitz bebte
Und sie dich rein und so geheiligt sah
Dass sie im kuss nicht auszuweichen strebte
Dem finger stützend deiner lippe nah.

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Gedicht: Weihe von Stefan George

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Weihe“ von Stefan George beschreibt einen mystischen Einweihungsmoment, in dem das lyrische Ich sich von der Welt der Gedanken löst und in einen tranceartigen Zustand übergeht. Die erste Strophe führt den Leser an einen Fluss, wo hohe Rohrpflanzen sich im Wind wiegen und die sanften Wellen davon abhalten, das Ufer zu erreichen. Diese Szenerie schafft eine Atmosphäre der Abgeschiedenheit und Konzentration, in der das Natürliche über das Alltägliche triumphiert.

Die zweite Strophe fordert dazu auf, sich ganz der Umgebung hinzugeben und die bewusste Reflexion auszuschalten. Der „starke Urduft“ soll betäuben, und das Auge soll ohne störende Gedanken auf eine göttliche Eingebung warten. Dies bereitet den Übergang in eine andere Sphäre vor – eine Welt, in der sich Zeichen des Unsichtbaren offenbaren.

In den folgenden Versen verdichtet sich die Vision: Die Natur beginnt sich zu verwandeln, Blätter zittern im Takt, Nebel zerfallen, und ein geheimnisvolles „Elfenlied“ kündigt einen Elfenreigen an. Schließlich öffnet sich der Blick auf eine jenseitige Welt, in der Raum und Zeit ihre gewohnten Bedeutungen verlieren und in einer höheren, fast überirdischen Harmonie aufgehen.

Im Höhepunkt der Einweihung erscheint eine geheimnisvolle „Herrin“, um das lyrische Ich zu segnen. Sie ist in „mondfarbene Gazeschleier“ gehüllt, ihre Lider sind halb geschlossen – ein Sinnbild für Traum und Transzendenz. Der abschließende Kuss, den sie nicht verweigert, markiert den Moment der Vollendung: eine spirituelle Weihe, in der das lyrische Ich geheiligt und in eine höhere Erkenntnis gehoben wird. Das Gedicht verbindet somit Elemente der Naturmystik mit einer fast religiösen Initiation und entwirft ein Bild von Vergeistigung und transzendenter Liebe.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.