Ich forschte bleichen eifers
Ich forschte bleichen eifers nach dem horte
Nach strofen drinnen tiefste kümmerniss
Und dinge rollten dumpf und ungewiss –
Da trat ein nackter engel durch die pforte:
Entgegen trug er dem versenkten sinn
Der reichsten blumen last und nicht geringer
Als mandelblüten waren seine finger
Und rosen rosen waren um sein kinn.
Auf seinem haupte keine krone ragte
Und seine stimme fast der meinen glich:
Das schöne leben sendet mich an dich
Als boten: während er dies lächelnd sagte
Entfielen ihm die lilien und mimosen –
Und als ich sie zu heben mich gebückt
Da kniet auch ER – ich badete beglückt
Mein ganzes antlitz in den frischen rosen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ich forschte bleichen Eifers“ von Stefan George beschreibt eine innere Suche nach tiefer Wahrheit oder verborgener Melancholie, die jedoch eine unerwartete Wendung nimmt. Zu Beginn sucht das lyrische Ich mit „bleichem Eifer“ nach einem „Hort“, in dem sich „tiefste Kümmernis“ verbirgt. Dies deutet auf eine fast besessene Beschäftigung mit Leid oder einer dunklen Wahrheit hin. Doch diese düstere Stimmung wird durch das plötzliche Erscheinen eines „nackten Engels“ durchbrochen.
Der Engel, der dem lyrischen Ich entgegentritt, ist nicht mit Macht oder Erhabenheit ausgestattet, sondern mit natürlicher Schönheit: Seine Finger gleichen „Mandelblüten“, sein Kinn ist umgeben von „Rosen Rosen“. Diese doppelte Wiederholung verstärkt das Bild einer überwältigenden Blütenpracht, die eine sanfte, sinnliche Fülle symbolisiert. Auffällig ist auch, dass der Engel keine Krone trägt und seine Stimme der des lyrischen Ichs ähnelt – er ist keine ferne göttliche Erscheinung, sondern scheint eine innere, menschliche Offenbarung zu sein.
Der Engel verkündet, dass ihn „das schöne Leben“ als Boten sendet – eine Botschaft, die dem Grübeln und der Schwere der ersten Strophe entgegensteht. In der Schlussszene entspannt sich die Atmosphäre: Als dem Engel seine Blumen entgleiten, beugt sich das lyrische Ich, um sie aufzuheben – und der Engel tut es ihm gleich. In diesem Moment vereinen sich beide in einer Geste der Demut und der Schönheit, als das lyrische Ich sein Gesicht in den frischen Rosen badet. Das Gedicht erzählt so von einem Wandel: von der Suche nach Schmerz hin zur Annahme des Schönen und Lebendigen, das sich in der Geste des Engels offenbart.
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Lizenz und Verwendung
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