Abenteuer & Reisen, Angst, Emotionen & Gefühle, Frieden, Gemeinfrei, Helden & Prinzessinnen, Leichtigkeit, Natur, Ostern, Spiele, Weisheiten
Mitgefühl
Wer nicht, voll reiner Menschenhuld,
mit rascher, schöner Ungeduld,
der Brüder tiefes Leiden sieht,
und tätig es zu lindern glüht;
Der, dessen Herz nicht höher schlägt,
von Mitempfindung süß bewegt,
wenn, von des Glückes Hauch belebt,
die Freude fremde Busen hebt:
Und flög‘ sein Nam‘ im Lichtgewand
des Ruhmes über Meer und Land,
und ordnete sein Herrscherblick
von Millionen das Geschick;
Und hätte ihm des Schicksals Hand
der Gaben schönste zugesandt:
das Glück, geliebt zu sein – gebricht
ihm dies Gefühl – ich neid‘ ihn nicht!
O Mitgefühl, der Menschheit Glück!
was trocknete den nassen Blick
was hielt‘ an der Verzweiflung Rand
zurück, wär’s nicht der Freundschaft Hand?
Sei ewig, ewig heilig mir!
Schon manche Freude dank‘ ich dir.
Weint einst mein Aug‘ in Mißgeschick,
so tröste mich dein Engelblick!
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Mitgefühl“ von Sophie Mereau thematisiert die zentrale Bedeutung von Empathie und Mitmenschlichkeit als höchste menschliche Tugend. In klarer, eindringlicher Sprache schildert Mereau, dass wahres Menschsein ohne Mitgefühl unvollständig bleibt – selbst große Macht, Ruhm oder persönliche Glücksgaben erscheinen wertlos, wenn das Herz nicht für andere schlägt. Damit steht das Gedicht ganz im Zeichen des Empfindsamen Zeitalters, das Gefühle als Grundlage moralischen Handelns betrachtete.
Die ersten beiden Strophen definieren Mitgefühl sowohl als Mitleid mit Leidenden als auch als Freude an fremdem Glück. Es geht nicht nur um Mitleiden im Schmerz, sondern auch um das freudige Mitempfinden. Mereau verleiht diesen Regungen eine ästhetische Dimension – das Mitfühlen ist nicht nur moralisch gut, sondern auch schön und lebendig: Es schlägt „höher“, glüht „tätig“, ist von „süßer Bewegung“ durchdrungen. Das Idealbild des Menschen ist ein aktives, warmherziges Wesen, das emotional mit der Welt verbunden ist.
In der dritten Strophe kontrastiert Mereau diese emotionale Fülle mit äußerlichem Glanz und Macht. Selbst ein Mensch, dessen Name „im Lichtgewand des Ruhmes“ glänzt, der „Millionen“ lenkt und vom Schicksal begünstigt ist, bleibt innerlich arm, wenn ihm die Fähigkeit zum Mitgefühl fehlt. Damit stellt sie eine ethische Hierarchie auf: Mitgefühl ist höher zu bewerten als Ruhm, Macht oder sogar die Liebe – ein bemerkenswerter Gedanke, gerade in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Aufstieg zunehmend wichtiger wurde.
Die beiden letzten Strophen wenden sich schließlich dem lyrischen Ich zu. Mitgefühl wird hier nicht nur als moralisches Ideal beschrieben, sondern als persönliche Kraftquelle. Die Hand der Freundschaft, die in Momenten der Verzweiflung Halt gibt, wird als rettend dargestellt. Der Wunsch, auch in Zukunft durch diesen „Engelblick“ getröstet zu werden, verleiht dem Gedicht eine zarte, fast kindliche Hoffnung.
„Mitgefühl“ ist somit ein poetisches Plädoyer für Herzensbildung und zwischenmenschliche Wärme. Mereau erhebt die Empathie zur Bedingung wahrer Größe und stellt sie als Quelle menschlichen Trostes und Glücks ins Zentrum. In einer zugleich feinsinnigen und klaren Sprache verbindet sie persönliche Erfahrung mit einer universellen ethischen Botschaft.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.