Soldatentraum
In einem Russendorfe zog
ich nachts die Reiterstiefel aus
und fiel in einen Traum und flog
auf Kinderschuhn ins Elternhaus.
Die Türen gingen auf und zu,
von Kinderhänden leicht bewegt,
als atmete in süßer Ruh
das Haus, vom Leben frisch durchregt.
Ich war in meines Vaters Haus
von Dämmerung zu Dämmerung
und lief im Spiel türein – türaus,
an Blut und Gliedern knabenjung.
Ich war daheim und ein war Kind,
doch als das Feld sich kaum bereift,
hat mir der kühle Morgenwind
die Kinderschuhe abgestreift.
Ich lag im Stroh , des Königs Mann,
fremd, tot und öde war das Haus.
Ich zog die Reiterstiefel an
und ritt ins Morgenrot hinaus.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Soldatentraum“ von Walter Flex ist eine ergreifende Auseinandersetzung mit den Themen Krieg, Verlust und Sehnsucht nach Heimat. Es schildert den Traum eines Soldaten, der in einem russischen Dorf die kalten Realitäten des Krieges für einen Moment vergisst und in eine idyllische Kindheit zurückkehrt. Dieser Traum wird zum Kontrast zum harten Erwachen im kalten Morgenlicht, das die Brutalität des Krieges unerbittlich wieder ins Bewusstsein ruft.
Die erste Hälfte des Gedichts entführt den Leser in die heile Welt der Kindheit. Flex beschreibt lebendig das Gefühl der Geborgenheit und Unbeschwertheit, das der Soldat im Traum erlebt. Die „Kinderschuhn“, das „Elternhaus“ und die spielerische Bewegung durch die Türen schaffen ein Bild von Wärme, Vertrautheit und kindlicher Unschuld. Die Verwendung von sanften Bildern, wie dem „süße[n] Ruh“ des Hauses, verstärkt den Kontrast zur harten Realität des Krieges, die außerhalb dieses Traumes existiert.
Der Wendepunkt des Gedichts liegt in den Versen, in denen die Träume des Soldaten jäh unterbrochen werden. Der „kühle Morgenwind“, der die „Kinderschuhe“ abstreift, symbolisiert das unerbittliche Erwachen aus der Idylle und die Rückkehr in die Wirklichkeit des Krieges. Die Beschreibung des Soldaten als „fremd, tot und öde“ in dem Haus, das zuvor ein Symbol für Geborgenheit war, verdeutlicht die Entfremdung und den Verlust, die der Krieg mit sich bringt.
Das letzte Quartett ist von bemerkenswerter Tragik geprägt. Der Soldat, der im Traum in seine Kindheit zurückgekehrt war, erwacht nun in der rauen Realität, im Stroh liegend. Die Reiterstiefel, die er wieder anzieht, werden zum Sinnbild für die erzwungene Rückkehr zum Dienst und die Weiterreise in ein ungewisses Schicksal. Das „Morgenrot“, in das er hinausreitet, kann sowohl als Hoffnungsschimmer als auch als Vorbote weiterer Gefahren interpretiert werden, was die Mehrdeutigkeit des Gedichts und seine tiefe emotionale Wirkung noch verstärkt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.