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Sicilianische Lieder (6) – Der Berg von Trapani

Von

Heut, Mißgünst′ge, vernehmt′s, bestieg ich den wolkigen Eryx.
Aber fragt ihr warum? geb′ ich die Antwort euch gern.
Schön zwar ist′s vom felsigen Haupt, dem taubenbewohnten,
Nieder zu blicken auf Thal, Ufer und Insel und Meer.
Jene Klippen, von Wellen umschäumt, bezaubert die Sage;
Denn der wilde Cyklop warf sie hinaus in das Meer.
Seinem Vater feierte hier Aeneas das Kampfspiel,
Wo der rauschenden See Trepanons Sichel entsteigt.
Dort um die Inseln schlug der Römer blutige Seeschlacht
Und zu Frieden und Bund bot der Karthager die Hand.
Ueber die Ebene blick′ ich hinweg, die rebenbegrünte,
Lilybaeon erglänzt sonnig am äußersten Strand,
Dem mit Aeolus Gunst das Schiff am Abend entwandert,
Um mit dem Frühroth schon glücklich in Tunis zu sein.
Schön zu schauen ist das; doch wißt, den ermüdenden Bergpfad
Stieg der Wandrer darum nicht, der verhaßte, hinan.
Eine Wallfahrt gebot ihm das Herz; zum Tempel der Venus
Trieb ihn die Andacht, es trieb ernstlicher Dank ihn empor.
Fromm ist jeder nach eigener Art, mir vergönnet die meine,
Nur dem eigenen Drang bin ich ja immer gefolgt.
Heuchelt, wie′s euch bedünkt; ich bekenne fröhlich, der Göttin
Hab′ ich Jugend und Kraft gerne zu Dienste geweiht.
Nicht mit Asche bestreut′ ich mein Haupt, doch kränzt′ ich′s mit Rosen,
Wenn ein Mädchen mich oft feurigen Armes umschlang.
Drum erhöre mein brünstig Gebet, o Himmlische, wende
Deine Gunst von dem Schwarm, der dich verläugnet, hinweg.
Dir zu opfern gebietet Natur allmächtigen Dranges,
Und zu läugnen versucht′s Frömmler und Heuchler umsonst.
Nimm mein Opfer und gieb mir ins Leben Schönheit in Fülle,
Gieb der Grazie Huld, aber die edelste, mir!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Sicilianische Lieder (6) - Der Berg von Trapani von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sicilianische Lieder (6) – Der Berg von Trapani“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine lyrische Reflexion über das Erleben des Dichters auf dem Eryx, einem Berg auf Sizilien, und die persönliche Bedeutung seiner Wallfahrt zum Tempel der Venus. Der Text ist geprägt von einer Mischung aus Naturbetrachtung, historischer Anspielung und einer leidenschaftlichen Hingabe an die Schönheit und die Göttin Venus. Die Struktur des Gedichts lässt sich in mehrere Teile gliedern: eine Beschreibung der Landschaft, eine Erläuterung des Aufstiegs und eine anschließende Anrufung der Venus, untermalt von einer persönlichen Rechtfertigung der eigenen Lebensweise.

In den ersten Versen beschreibt der Dichter die beeindruckende Aussicht vom Berg. Die Naturschilderung mit Begriffen wie „wolkigen Eryx“, „felsigen Haupt“, „Thal, Ufer und Insel und Meer“ dient dabei nicht nur der ästhetischen Darstellung, sondern etabliert auch den Kontext für die nachfolgende Reflexion. Er erwähnt die mythische Vergangenheit der Gegend, insbesondere die Verbindung zum trojanischen Helden Aeneas und die Legenden der Zyklopen, was die Landschaft mit einer tieferen kulturellen Bedeutung auflädt. Die Erwähnung historischer Ereignisse wie Seeschlachten verstärkt den Eindruck der Vergänglichkeit und der menschlichen Geschichte im Angesicht der Natur. Die detailreichen Beschreibungen des Meeres, der Inseln und der Landschaft lenken den Blick des Lesers auf die Schönheit der Umgebung.

Der eigentliche Grund für den Aufstieg wird in den mittleren Versen offenbart: Es ist eine Wallfahrt zum Tempel der Venus, getrieben von Dankbarkeit und persönlicher Hingabe. Waiblinger distanziert sich dabei von den Frömmlern und Heuchlern, die die Venus verleugnen, und betont seine eigene Art der Frömmigkeit und seinen individuellen Bezug zur Göttin. Die Zeilen „Fromm ist jeder nach eigener Art, mir vergönnet die meine, / Nur dem eigenen Drang bin ich ja immer gefolgt“ unterstreichen diesen Gedanken. Die Wahl des Tempels der Venus ist dabei von besonderer Bedeutung, da sie die Verehrung der Schönheit, der Liebe und der Lebensfreude symbolisiert, was im Gegensatz zu einer asketischen Lebensweise steht.

Die abschließenden Verse sind eine direkte Anrufung an Venus, in der der Dichter um Gunst und Schönheit bittet. Er bekennt sich zu seiner Jugend und Kraft, die er der Göttin gewidmet hat, und distanziert sich von Scheinheiligkeit. Die Zeilen „Drum erhöre mein brünstig Gebet, o Himmlische, wende / Deine Gunst von dem Schwarm, der dich verläugnet, hinweg“ drücken eine tiefe Sehnsucht und ein starkes Bekenntnis zur eigenen Lebensweise aus. Waiblinger bittet um Schönheit und Grazie, die ihm das Leben erfüllen sollen, wodurch das Gedicht zu einem Loblied auf die sinnliche Erfahrung und die Verehrung der Schönheit wird.

Insgesamt ist das Gedicht eine Hommage an die Sinnlichkeit und die Individualität. Es verbindet die Beschreibung einer beeindruckenden Landschaft mit einer persönlichen Reflexion über Glauben, Schönheit und die eigene Lebensweise. Der Dichter distanziert sich von gesellschaftlichen Konventionen und wählt seinen eigenen Weg, indem er die Schönheit der Welt und die Verehrung der Venus zelebriert. Waiblingers Gedicht ist somit ein Ausdruck von Lebensfreude, persönlicher Hingabe und einem mutigen Bekenntnis zur eigenen Individualität.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.