Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Sicilianische Lieder (2) – Die Felsen der Cyklopen

Von

Wandle die Gärten, die blühenden, hin am Fuße des Aetna,
Purpurn bietet dir noch Indiens Feige die Frucht.
Schwellend drängt sich zur Erde die Traub′ und rankt um die Säule,
Ueber dem niedrigen Dach lacht die Orange dir zu.
Haus und Garten umschließt das düstere Lavagemäuer,
Ueber vulkanisch Gestein führet die Straße dich selbst.
Da ermangelt das liebliche Grün, du wandelst in Felsen;
Eine Wildniß erschließt sich dem befremdeten Blick.
Unten rauscht um das Felsengestad die krystallene Woge,
Die das mildeste Licht südlichen Himmels durchglänzt.
Kaum entdeckst du das Dörfchen am öden Ufer des Meeres,
Fischer nähret in ihm, ärmliche, Vater Neptun.
Doch gewaltig entsteigen der Fluth die cyklopischen Klippen,
Schwarzen Thürmen vergleichst du ihr gigantisches Bild.
Hier, o Muse Homers, naht′ einst der troische Wandrer
In zehnjähriger Fahrt irrend Trinakriens Strand.
Und des Ithakers denk′ ich, des schlaun, dem in mächtiger Höhle
Der gefräß′ge Cyklop Freund′ und Gefährten verschlang.
Doch er blendete tapfer den Feind und mit blöckender Heerde
Stahl sich der griechische Held muthig die Grotte heraus.
Aber die Felsen, wo oft in der Barke der Fischer mich rudert,
Warf der ergrimmte Cyklop nach dem entflohenen Feind.
Dank, o Vater Homer, am Strande des waldigen Aetna
Irrend, wie Dulder Ulyß, hab′ ich dein Märchen gefühlt.
Doch gern denk′ ich den Sohn der Erde mir auch, da der Liebe
Schelmischer Gott ihm ins Herz blutige Pfeile gesandt,
Da er gelagert am felsigen Strand der Nymphe des Meeres,
Ein Verschmähter, den Schmerz brennender Liebe geklagt.
Und wie gerne der Mensch in Anderer Leiden und Freuden
Seines Herzens Geschick thätig genießt und beweint,
Wie der griechische Wandrer mir oft die eigene Irrfahrt
Auf der flüchtigen Welt täuschenden Bahnen gezeigt:
Kehrt mir vergangene Liebe zurück und vergangener Kummer,
Und am Ufer erschleicht manche Erinnerung mich.
Nymphe der blauen Wellen, so noch den krystallenen Abgrund
Deine Gottheit bewohnt, höre den Flehenden an.
Dünke mein Wort dir albern wie einst das Liebesgeplauder
Des Cyklopen, es sei doch mein Gedanke dir kund:
Viel einst hab′ ich geliebt und Alles hab′ ich verloren,
Was ich mir treu, was ich einst mein bis zum Grabe geglaubt.
Unaussprechlicher Schmerz erfüllte da mir die Seele;
Denn an ein fremdes Sein hatt′ ich das eigne geknüpft.
Einem Baum verglich ich mein Herz, den die Wetter geschlagen,
Dem schon im Frühling der Sturm Blüthen und Blätter geraubt.
Doch nun seh′ ich ihn männlich gereift im heiteren Sommer
Kräftigen Stammes und tief wurzelnd im fruchtbaren Grund.
Früchte trägt er, und glücklich enttäuscht auf die Träume der Jugend
Blick′ ich zurück und es ist nun auch die Ernte nicht fern.
Drum verarge mir nicht, o verschmähende Göttin des Meeres,
Such′ ich mein höchstes Glück jetzt in der Liebe nicht mehr
Sei ihm offen das frische Gemüth, doch begnüge sich Amor,
Freund und Gespiele, doch nicht Herr und Gebieter zu sein.
Noch, Galathea, hat mich kein sprödes Mädchen verschmähet,
Aber trifft mich das Loos, bin ich zu dulden bereit.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Sicilianische Lieder (2) - Die Felsen der Cyklopen von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sicilianische Lieder (2) – Die Felsen der Cyklopen“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine tiefgründige Reflexion über Liebe, Verlust, Erinnerung und die Entwicklung des eigenen Selbst. Es verbindet die mythische Welt Homers mit der persönlichen Erfahrung des Dichters und dem Lauf der Zeit. Das Gedicht beginnt mit einer malerischen Beschreibung der sizilianischen Landschaft, die durch die Gegensätze von üppiger Vegetation und karger Felslandschaft charakterisiert ist. Diese landschaftliche Ambivalenz spiegelt die innere Zerrissenheit des Dichters wider, die sich in der Auseinandersetzung mit der Liebe und dem Verlust manifestiert.

Die zweite Hälfte des Gedichts wendet sich dem Mythos des Zyklopen Polyphem und der Nymphe Galathea zu, einer Geschichte, die Waiblinger als Gleichnis für seine eigenen Erfahrungen mit der Liebe nutzt. Er identifiziert sich mit Odysseus, der durch List dem Zyklopen entkommt, und verbindet dieses Motiv mit der eigenen schmerzhaften Erfahrung der unerwiderten Liebe und des Verlusts. Die Erinnerung an vergangene Liebe und Kummer kehrt zurück, und am Ufer des Meeres, wo sich der Dichter befindet, tauchen Erinnerungen auf. Der Dichter wendet sich an Galathea, die Nymphe des Meeres, und bittet sie, seine Worte anzuhören. Er bittet sie, seine Worte als „albern“ anzusehen, so wie das Liebesgeplauder des Zyklopen. Hier wird deutlich, dass der Dichter die Liebe als eine Erfahrung des Schmerzes und der Enttäuschung wahrnimmt.

Im weiteren Verlauf des Gedichts vollzieht der Dichter eine innere Wandlung. Er vergleicht sein Herz mit einem Baum, der durch Stürme beschädigt wurde, aber nun im Sommer gereift ist und Früchte trägt. Dieser Baum steht für die Reifung des Dichters, der die Illusionen der Jugend hinter sich gelassen hat und nun mit Gelassenheit auf seine Vergangenheit zurückblickt. Er hat die Erfahrung gemacht, viel geliebt und verloren zu haben, aber er hat gelernt, aus diesen Erfahrungen zu wachsen. Die Metapher des Baumes zeigt die Widerstandsfähigkeit und die Fähigkeit zur Regeneration des menschlichen Herzens.

Die abschließenden Verse drücken eine neue Haltung gegenüber der Liebe aus. Der Dichter sucht sein „höchstes Glück“ nicht mehr in der Liebe, sondern in der Freundschaft und dem Spiel. Er ist bereit, das Schicksal zu akzeptieren, sollte er von einer Frau verschmäht werden. Damit zeigt er eine Distanzierung von der romantischen Liebe, die er zuvor als Quelle von Schmerz und Verlust erfahren hat, und eine Hinwendung zu einer reiferen, gelasseneren Sichtweise. Die Ernte, die im Gedicht angedeutet wird, symbolisiert die Erkenntnis, dass die Zeit heilt und aus Verlust Wachstum und Reife entstehen können.

Waiblingers Gedicht ist somit eine bewegende Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz, die die Themen Liebe, Verlust, Erinnerung und Reifung auf kunstvolle Weise verbindet. Die poetische Sprache, die von Bildern der Natur und der griechischen Mythologie geprägt ist, verleiht dem Gedicht eine besondere Tiefe und Ausdruckskraft, die den Leser dazu anregt, über die eigenen Erfahrungen nachzudenken.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.